Студопедия — SIEBENTES KAPITEL. Während des Nachmittags erhob ich den Kopf und als ich umherblickte und sah, wie die letzten Strahlen der untergehenden Sonne auf die Wand meines Zimmers
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SIEBENTES KAPITEL. Während des Nachmittags erhob ich den Kopf und als ich umherblickte und sah, wie die letzten Strahlen der untergehenden Sonne auf die Wand meines Zimmers






 

Während des Nachmittags erhob ich den Kopf und als ich umherblickte und sah, wie die letzten Strahlen der untergehenden Sonne auf die Wand meines Zimmers fielen, da fragte ich:»Was soll ich jetzt beginnen?«

Aber die Antwort, welche meine Seele mir gab:»Verlaß Thornfield sofort«– kam so schnell, so furchtbar schnell, daß ich mir die Ohren zuhielt. Ich sagte, daß ich solche Worte jetzt nicht hören könne.»Daß ich Edward Rochesters Gattin nicht bin, ist der geringste Teil meiner Leiden,«versicherte ich,»daß ich aus meinen herrlichsten Träumen erwachte und sie alle eitel und trügerisch befand, – das ist etwas Entsetzliches, das ich jedoch noch ertragen und überwinden könnte; daß ich ihn aber bestimmt, augenblicklich, und für immerverlassen muß – das ist unerträglich! Und ich vermag es nicht!«

Aber dann versicherte eine innere Stimme mich, daß ich es dochkönne und prophezeite mir, daß ich es thun würde. Ich kämpfte mit meinem eigenen Entschluß; ich wollte schwach sein, um den Pfad künftigen Leidens, den ich so deutlich vor mir sah, zu vermeiden; und mein Gewissen, zum Tyrannen geworden, packte die Leidenschaft an der Kehle und sagte ihr höhnisch, daß sie bis jetzt nur mit einem Fuße den Schlamm leicht berührt habe, und schwor, daß es sie mit seinem eisernen Arm in die unergründlichsten Tiefen der Todesqualen schleudern würde.

»So reißt mich fort!«schrie ich auf.»Ein anderer muß mir helfen!«

»Nein, du selbst mußt dich losreißen, niemand soll dir helfen. Du selbst sollst dein rechtes Auge ausreißen, du selbst deine rechte Hand abhauen. Dein Herz soll das Opfer sein und du selbst die Priesterin, die es darbringt.«

Plötzlich sprang ich auf, vor Entsetzen fast gelähmt über die Einsamkeit, in der nur dieser erbarmungslose Richter sprach – über die Stille, durch welche nur eine so furchtbare Stimme tönte. Es schwindelte mir, als ich so dastand. Ich merkte, daß ich vor Aufregung und Erschöpfung krank wurde. Weder Essen noch Trinken war an diesem Tage über meine Lippen gekommen, denn ich hatte nicht einmal gefrühstückt. Und mit einem seltsam stechenden Schmerz fiel es mir jetzt ein, daß niemand auch nur angefragt habe, wie es mir gehe, daß keine menschliche Stimme mich aufgefordert, nach unten zu kommen. Nicht einmal die kleine Adele hatte an die Thür geklopft, auch Mrs. Fairfax hatte mich nicht aufgesucht.

»Freunde verlassen stets diejenigen, welche vom Glück verlassen sind,«murmelte ich, als ich den Riegel zurückschob und hinausging. Ich strauchelte über ein Hindernis, mein Kopf war noch schwindelig, mein Blick war getrübt und meine Glieder schwach. Ich konnte mich nur langsam erholen. Dann fiel ich, aber nicht zu Boden, ein ausgestreckter Arm fing mich auf; ich blickte empor – Mr. Rochester stützte mich! Er hatte in einem Lehnstuhl vor der Schwelle meines Zimmers gewacht.

»Endlich kommst du heraus,«sagte er.»Ich habe schon so lange auf dich gewartet und gehorcht, aber ich vernahm kein Geräusch, keine Bewegung, kein Schluchzen. Noch weitere fünf Minuten jener todesähnlichen Stille, und ich hätte jene Thür erbrochen, wie ein Räuber. Also du willst mir ausweichen? – Du schließest dich ein und trauerst allein! Ich hätte es leichter ertragen, wenn du gekommen wärst, um mir in Heftigkeit Vorwürfe zu machen. Du bist leidenschaftlich: ich erwartete eine Scene irgend welcher Art von dir. Ich war auf heiße Thränenfluten vorbereitet: nur wollte ich, daß du sie an meinem Herzen vergießen solltest. Jetzt hat ein empfindungsloser Teppich sie aufgesogen oder dein durchnäßtes Taschentuch. Aber nein, ich irre! Du hast gar nicht geweint! Ich sehe eine bleiche Wange und ein mattes Auge – aber keine Thränenspur. So vermute ich, daß dein Herz Blut geweint hat?«

»Nun, Jane? Kein Wort des Vorwurfs? Keine Bitterkeit – keine verletzende Silbe? Kein Ausbruch der Leidenschaft – keine Kränkung? Du sitzest ruhig dort, wohin ich dich gesetzt habe und siehst mich mit müden, leidenden Augen an?«

»O Jane, ich habe dich nicht so tief verwunden wollen. Wenn der Mann, der nur ein einziges kleines Lämmchen besaß, das seinem Herzen teuer war wie sein Kind, das von seinem Brote aß und aus seinem Becher trank, das an seinem Herzen ruhte – wenn der Mann dieses Lämmchen durch irgend einen Irrtum an der Schlachtbank geschlachtet – er könnte sein blutiges Versehen nicht mehr bereuen, als ich jetzt das meine. Kannst du mir jemals verzeihen?«

Mein Leser! ich vergab ihm schon in demselben Augenblick. In seinen Augen sah ich so tiefe Reue, so wahres, echtes Mitleid in seiner Stimme, so viel männliche Energie in seiner Art und Weise! Und außerdem verrieten seine Blicke und Mienen so viel unveränderte Liebe – ich vergab ihm alles!Doch nicht in Worten, nicht äußerlich – nur in der innersten Tiefe meines Herzens.

»Du weißt, daß ich ein Elender, ein Schurke bin, Jane?«fragte er nach einer Weile traurig. Er war wohl verwundert über mein anhaltendes Schweigen, meine augenscheinliche Ruhe. Sie entsprangen mehr meiner Schwäche als meinem Willen.

»Ja, Sir.«

»Dann sag' es mir gerade heraus, mit scharfen, bösen Worten. Schone mich nicht, Kind, o schone mich nicht!«

»Ich kann nicht. Ich bin müde und krank; ich möchte einen Tropfen Wasser haben!«

Er stieß einen schaudernden Seufzer aus; dann nahm er mich in seine Arme und trug mich hinunter. Anfangs wußte ich nicht, in welches Zimmer er mich getragen hatte; alles war trübe vor meinen verglasten Augen; doch bald empfand ich die belebende Wärme eines Feuers, denn trotzdem es Sommer, war ich in meinem Zimmer eiskalt geworden. Er hielt ein Glas Wein an meine Lippen, ich nippte davon und fühlte neue Kräfte zurückkehren; dann aß ich etwas, das er mir brachte – und bald war ich wieder ich selbst. Ich war im Bibliothekzimmer – ich saß in seinem Stuhl – er war mir ganz nahe.

»Wenn ich jetzt aus diesem Leben gehen könnte, ohne einen zu jähen Schmerz, so würde mir wohl sein,«dachte ich.»Dann brauchte ich nicht die Anstrengung zu machen, meinen Herzensnerv zu zerreißen, indem ich mich von Mr. Rochester losreiße. Ich muß ihn verlassen. Ach ja, ich mußes. Aber ich will ihn nicht verlassen – ich kannihn nicht verlassen.«

»Wie fühlst du dich jetzt, Jane?«

»Viel besser, Sir. Bald wird mir ganz wohl sein!«

»Koste noch einmal von dem Wein, Jane.«

Ich that, wie er befahl. Dann stellte er das Glas auf den Tisch, stand vor mir und betrachtete mich aufmerksam. Plötzlich wandte er sich ab mit einem unterdrückten Aufschrei, in dem sich alle Leidenschaft Luft machen wollte. Dann schritt er schnell durch das Zimmer und kam zu mir zurück; er beugte sich nieder als wollte er mich küssen; aber es fiel mir ein, daß alle Liebkosungen jetzt verboten seien. Ich wandte den Kopf fort und schob ihn beiseite.

»Was! Was soll das bedeuten?«rief er hastig aus.»O! ich weiß, du willst den Gatten jener Berta Mason nicht küssen? Du meinst, ich halte schon ein Wesen in meinem Arm, dem meine Liebkosungen gebühren!«

»Auf jeden Fall, Sir, ist hier kein Raum mehr für mich, und ich habe keine Rechte.«

»Wie, Jane! Ich will dir die Mühe vielen Redens ersparen. Ich will für dich antworten. Nicht wahr, du wolltest mir entgegnen, daß ich bereits eine Gattin habe? – habe ich recht geraten?«

»Ja.«

»Wenn du das meinst, so mußt du eine seltsame Meinung von mir haben. Du mußt mich für einen ränkeschmiedenden Bösewicht halten, für einen niedrigen, gemeinen Schurken, der dir reine, hingebende Liebe geheuchelt hat, um dich in eine wohlüberlegte und gutbereitete Schlinge zu locken und dir deine Ehre und Selbstachtung zu rauben. Was hast du mir jetzt zu antworten? Ich sehe, daß du gar nichts sagen kannst. Erstens bist du noch immer matt und kraftlos und hast genug zu thun, um atmen zu können, und zweitens kannst du dich noch nicht daran gewöhnt haben, mich zu beschuldigen und zu verlästern. Außerdem sind die Thränenschleusen jetzt geöffnet und sie würden überströmen, wenn du zu viel sprächst. Du hegst auch nicht den Wunsch Vorwürfe zu machen, mich zur Rede zu stellen, eine Scene herbeizuführen. Du denkst darüber nach, wie du zu handelnhast – denn das Redenhältst du für nutzlos. Ich kenne dich – ich bin auf meiner Hut.«

»O Sir, ich bin nicht gesonnen, gegenSie zu handeln,«sagte ich, und meine unsichere Stimme zeigte mir, wie gut es sein würde, mich so kurz wie möglich zu fassen.

»Nicht in deinemSinne des Wortes, aber in dem meinengedenkst du mich zu vernichten. Du hast so gut wie ausgesprochen, daß ich ein verheirateter Mann bin – dem verheirateten Manne willst du ausweichen, ihm aus dem Wege gehen – soeben hast du dich schon geweigert, mir einen Kuß zu geben. Du hast die Absicht, dich mir vollständig zu entfremden; unter diesem Dache nur als Adeles Gouvernante weiter zu leben. Und wenn ich dir ein freundliches Wort sage, – wenn jemals ein freundschaftliches Gefühl dich wieder zu mir zieht, so wirst du sagen:

›Jener Mann hätte mich beinahe zu seiner Maitresse gemacht, für ihn darf ich nur noch Eis und Marmor sein,‹ – und folglich wirst du Eis und Marmor werden.«

Ich räusperte mich und versuchte meine Stimme zu festigen, um ihm zu antworten:

»Alles um mich her und für mich ist verändert, Sir; so muß auch ich eine andere werden – daran ist kein Zweifel, und um den Schwankungen meines Gefühls vorzubeugen, um fortwährende Kämpfe mit der Erinnerung und meiner Liebe zu verhindern, giebt es nur einenAusweg: – Adele muß eine andere Gouvernante haben.«

»O! Adele wird in eine Pension geschickt; das habe ich bereits beschlossen; und ebenso wenig ist es meine Absicht, dich mit den grauenhaften Erinnerungen von Thornfield-Hall zu peinigen – diesem verfluchten Orte – diesem Zelt des Achan – diesem frechen Gebäude, das dem hellen, himmlischen Tageslicht das Grauen eines lebenden Todes vorzuführen wagt – dieser engen Steinhölle mit ihrem eigenen lebenden Teufel – der schlimmer ist als eine Legion solcher, die unsere Phantasie uns ausmalt. – Jane, du sollst nicht hierbleiben und ebenso wenig will ich es. Es war unrecht von mir, dich überhaupt jemals nach Thornfield-Hall zu bringen, da ich doch wußte, daß ein fürchterliches Gespenst hier umgeht. Lange bevor ich dich gesehen, befahl ich jedem hier im Hause, sorgfältig den Fluch desselben vor dir zu verbergen, einfach, weil ich fürchtete, daß niemals eine Gouvernante bei Adele bleiben würde, wenn sie wüßte, mit wem sie unter einem Dache lebte. Und ich hatte niemals die Absicht, jene Wahnsinnige an einen anderen Ort zu bringen, obgleich ich ein altes Haus, Ferndean Manor, besitze, das noch versteckter und abgelegener ist als dieses, wo ich sie sicher genug hätte verstecken können. Aber Skrupeln über das Ungesunde des Ortes, der mitten im dichten Walde liegt, ließen mein Gewissen vor solchen Maßregeln zurückschrecken. Wahrscheinlich hätten jene feuchten Mauern mich bald von jener entsetzlichen Last befreit; aber jedem Verbrecher sein besonderes Verbrechen! Das meine ist nicht der Hang zu indirektem Morde, nicht einmal jenes Geschöpfes, das ich so unbegrenzt hasse.«

»Dir die Nähe jener Wahnsinnigen zu verheimlichen war indessen gerade so klug, als deckte man ein Kind mit einem Mantel zu und legte es neben einen Upasbaum; die Nähe diesem Dämons ist vergiftet und war es immer. Aber ich werde Thornfield-Hall verlassen, es verschließen, ich werde die große Einfahrt vernageln und die unteren Fenster vermauern lassen; ich werde Mrs. Poole zweihundert Pfund Sterling im Jahr geben, um hier mit meiner Gattinzu leben, wie du jene grauenvolle Hexe nennst. Für Geld thut Grace gar viel, und sie soll ihren Sohn, den Wildhüter von Grimbsby-Heim hier haben, daß er ihr Gesellschaft leiste und zur Hand sei, um ihr beizustehen, wenn meine Gattinihre Paroxismen bekommt und ihr böser Geist sie treibt, die Menschen Nachts in ihren Betten zu verbrennen, sie zu erdolchen, ihnen mit ihren Zähnen das Fleisch von den Knochen zu reißen, und so weiter.«

»Sir,«unterbrach ich ihn,»Sie sind unerbittlich in Bezug auf jene unglückliche Frau; Sie sprechen mit Haß von ihr – mit gehässiger Antipathie. Es ist grausam – ist sie denn schuldig, weil sie wahnsinnig ist?«

»Jane, mein kleiner Liebling, (so werde ich dich immer nennen, denn das bleibst du für mich) du weißt nicht, was du sprichst; du beurteilst mich schon wieder falsch. Ich hasse sie nicht, weil sie wahnsinnig ist. Glaubst du, ich würde dichhassen, wenn duwahnsinnig wärst?«

»Das glaube ich in der That, Sir.«

»Dann irrst du und kennst mich nicht; dann begreifst du jene Liebe nicht, deren ich fähig bin. Jedes Atom deines Selbst ist mir so lieb wie mein eigenes, in Qual und Schmerz und Krankheit würde es mir ebenso teuer bleiben. Dein Geist ist mein Schatz – und wenn er zerstört würde, so bliebe er dennoch mein Kleinod; wenn du tobtest, würden meine Arme dich umschlingen und fesseln – nicht eine Zwangsjacke – deine Berührung selbst in der Tobsucht würde mir noch eine Wonne sein. Wenn du dich auf mich stürztest, so wild wie dieses Weib es heute Morgen that, so würde ich dich umfangen, ich würde dich durch Zärtlichkeit zu bändigen suchen. Ich würde mich nicht mit Ekel von dir abwenden wie von jenem Weibe; in deinen ruhigen Augenblicken solltest du keinen anderen Wärter haben als mich; ich würde dich mit unermüdlicher Zärtlichkeit pflegen, wenn du auch nicht mit einem einzigen Lächeln danktest; ich würde niemals müde werden, in deine Augen zu blicken, wenn mir auch kein Strahl des Erkennens mehr aus ihnen entgegenleuchtete. – Aber weshalb verfolge ich diesen Gedankengang? Ich sprach ja davon, dich von Thornfield fortführen zu wollen. Du weißt, alles ist für eine schleunige Abreise vorbereitet. Morgen sollst du fort von hier. Ich bitte dich nur, Jane, halte noch eine einzige Nacht unter diesem Dache aus; und dann fort mit all seinem Elend und Schrecken für alle Zeiten! Ich weiß einen Ort, an den wir uns begeben können, der ein sicheres Heiligtum, ein fester Schutz gegen verhaßte Reminiscenzen ist, der uns vor unwillkommenen Besuchern schützt – sogar vor Falschheit und Verleumdung.«

»Und nehmen Sie Adele mit, Sir,«unterbrach ich ihn,»sie wird Ihnen eine Gefährtin sein.«

»Was willst du damit sagen, Jane? Ich sage dir ja, daß ich Adele in eine Pension schicken will; und wozu bedarf ich eines Kindes als Gefährtin? Und nicht mein eigenes Kind – der Bastard einer französischen Tänzerin? Weshalb belästigst du mich ihretwegen? Ich frage noch einmal, weshalb giebst du mir Adele als Gefährtin?«

»Sie sprachen von Einsamkeit, Sir, und Einsamkeit ist traurig – zu traurig für Sie.«

»Einsamkeit! Einsamkeit!«wiederholte er ärgerlich.»Ich sehe, ich muß zu einer Erklärung kommen. Ich verstehe den sphynxartigen Ausdruck auf deinem Gesichte nicht. Du sollst meine Einsamkeit teilen. Verstehst du mich?«

Ich schüttelte den Kopf. Es erforderte einen gewissen Grad von Mut – aufgeregt wie er war – auch nur dieses stumme Zeichen der Weigerung zu machen. Er war schnell im Zimmer auf- und abgegangen und plötzlich blieb er wie angewurzelt stehen. Er blickte mich an, lange und scharf. Ich wandte die Augen von ihm und heftete sie auf das Feuer und versuchte mir ein ruhiges, gefaßtes Äußeres zu geben und zu erhalten.

»Jetzt haben wir den Haken in Janes Charakter,«sagte er endlich; er sprach ruhiger, als ich nach seinen Blicken zu erwarten gewagt hatte.»Die Seidenspule ist bis hierher still und ungehindert gegangen; aber ich wußte stets, daß der Knoten kommen würde. Hier ist er. Und jetzt kommt Ärger und Verzweiflung und endloser Kummer! Bei Gott! Ich hege das Verlangen, ein Atom von Simsons Stärke anzuwenden und die Verwirrung wie Werg zu zerreißen!«

Er begann seinen Weg von neuem; aber bald hielt er wieder inne und dieses Mal gerade vor mir.

»Jane, willst du jetzt Vernunft annehmen? (Er beugte sich zu mir herab und näherte seine Lippen meinem Ohr.) Denn wenn du es nicht thust, werde ich Gewalt brauchen.«

Seine Stimme war heiser. Sein Blick war der eines Mannes, der gerade im Begriffe steht, eine unerträgliche Fessel zu sprengen und sich Hals über Kopf in wilde Zügellosigkeit zu stürzen. Im nächsten Augenblick begriff ich das, und wenn seine Wut auch nur noch um ein Atom zunahm, war ich nicht mehr imstande, auch nur noch das Geringste mit ihm zu thun. Die gegenwärtige – die vorübergehende Sekunde – war alles was mir gehörte, nur jetzt noch konnte ich ihn beherrschen und zurückhalten; wenn ich eine Bewegung des Abscheus, der Furcht zeigte, so wäre mein Schicksal besiegelt gewesen – und das seine. Aber ich fürchtete mich nicht – nicht eine Minute! Ich spürte eine innere Kraft, die mich aufrecht erhielt. Die Krisis war gefährlich; aber sie hatte ihren Reiz. Einen Reiz, wie ihn der Wilde vielleicht empfindet, wenn er in seinem Kanoe über die Stromschnellen dahin saust. Ich faßte seine geballte Hand; löste die zuckenden Finger und sagte sanft und beruhigend:

»Setzen Sie sich. Ich will mit Ihnen reden so lange Sie wollen; ich will alles anhören, was Sie zu sagen haben, ob es nun vernünftig oder unvernünftig ist.«

Er setzte sich, aber er kam noch nicht gleich zum Reden. Ich hatte schon lange mit den Thränen gekämpft. Wohl hatte ich mir die größte Mühe gegeben, sie zu unterdrücken, weil ich wußte, daß er mich nicht weinen sehen mochte. Jetzt indessen hielt ich es für besser, ihnen freien Lauf zu lassen so lange sie wollten. Wenn diese Thränenflut ihn bekümmerte – desto besser. Ich gab ihnen also nach und weinte bitterlich.

Bald hörte ich, wie er mich ernstlich bat, mich zu fassen. Ich entgegnete, daß ich es nicht könne, so lange er so zornig sei.

»Aber ich bin nicht zornig, Jane. Ich liebe dich nur zu sehr – das ist alles. Und du hattest dein kleines, blasses Gesicht mit einem so kalten, entschlossenen Blick gestählt, daß ich es nicht ertragen konnte. Sei jetzt still und trockne deine Augen.«

Seine weiche Stimme verkündete mir, daß er besiegt sei; daher wurde auch ich nun ruhig. Jetzt machte er den Versuch, seinen Kopf an meine Schulter zu lehnen, aber ich wollte es nicht erlauben. Dann wollte er mich an sich ziehen – auch das gestattete ich nicht.

»Jane! Jane!«sagte er mit einem Ausdruck so bitterer Traurigkeit, daß jeder Nerv in mir erbebte.»Liebst du mich denn nicht mehr? Es war also nur meine Stellung, der Rang meiner Gattin, den du schätztest und anstrebtest? Jetzt, wo du mich nicht mehr für geeignet hältst, dein Gatte zu werden, zuckst du unter meiner Berührung zusammen, als sei ich eine Kröte oder ein Affe.«

Diese Worte schnitten mir ins Herz. Aber was konnte ich thun? Wahrscheinlich hätte ich gar nichts sagen oder thun müssen, aber die Gewissensbisse darüber, daß ich sein Gefühl auf diese Weise verletzen mußte, quälten mich derartig, daß ich dem Verlangen, heilenden Balsam zu spenden, wo ich verwundet hatte, nicht widerstehen konnte.

»Ich liebe Sie,«sagte ich,»mehr denn je. Aber ich darf diese Empfindung nicht mehr zeigen, mich ihr nicht mehr hingeben. Und dies ist auch das letzte Mal, daß ich ihr Worte verleihe.«

»Das letzte Mal, Jane! Was! glaubst du, daß du mich täglich sehen und neben mir leben kannst und doch, wenn du mich noch liebst, kalt und fremd zu bleiben vermagst?«

»Nein, Sir, ich weiß bestimmt, daß ich es nicht könnte. Und deshalb sehe ich nur einen einzigen Ausweg. Aber Sie werden wieder in Zorn geraten, wenn ich ihn nenne.«

»O, nenne ihn nur! Wenn ich tobe und wüte, besitzest du die Kunst des Weinens.«

»Mr. Rochester – ich muß Sie verlassen.«

»Auf wie lange, Jane? Für einige Minuten während du dein Haar ordnest, das etwas in Unordnung gekommen ist. Oder um dein Gesicht zu kühlen, das fieberhaft glüht?«

»Ich muß Adele und Thornfield verlassen. Ich muß mich von Ihnen für das ganze Leben trennen! Ich muß ein neues Dasein unter fremdem Himmel, zwischen fremden Gesichtern beginnen.«

»Gewiß. Ich sagte dir ja schon, daß du es sollest. Den wahnsinnigen Gedanken, dich von mir trennen zu wollen, berühre ich nicht weiter. Du meinst, daß du ein Teil von mir werden mußt. Was das neue Dasein betrifft, so hast du recht. Du mußt dennoch mein Weib werden: ich bin nicht verheiratet. Du sollst Mrs. Rochester werden, sowohl dem Namen nach wie in der That. Ich werde zu dir halten so lange du und ich leben. Du wirst auf ein Besitztum gehen, das ich im südlichen Frankreich besitze, eine freundliche weiße Villa an dem Ufer des mittelländischen Meeres. Dort sollst du ein glückliches, beschütztes, unschuldiges Leben führen. Fürchte nicht, daß ich dich zur Sünde verleiten könnte – daß ich dich nur zu meiner Geliebten machen will! Weshalb schüttelst du den Kopf? Jane, du mußt Vernunft annehmen, oder wahrhaftig – die Wut faßt mich von neuem.«

Seine Stimme und seine Hand bebten; seine Augen funkelten; und dennoch wagte ich zu sprechen:

»Sir, Ihre Gattin lebt; das ist ein Faktum, welches Sie heute morgen selbst zugestanden haben. Wenn ich bei Ihnen lebte, wie Sie es wünschen, so würde ich nur Ihre Geliebte sein – etwas anderes zu sagen ist sophistisch – ist falsch.«

»Jane, ich bin kein sanftmütiger Mensch – das vergißt du. Ich bin nicht von großer Geduld. Ich bin nicht kalt und leidenschaftlos. Aus Mitleid für mich und dich selbst, lege deine Hand auf meinen Puls, fühle, wie er klopft und – hüte dich!«

Er schob den Ärmel vom Handgelenk zurück und hielt es mir hin, aus seinem Gefühl und seinen Lippen war alles Blut gewichen, er war aschfarben. Ich fühlte mich unsagbar elend. Es war grausam, ihn durch einen Widerstand, den er so verabscheute, ferner zu reizen. Ihm nachgeben – das war ebenfalls außer Frage. Ich that, was jeder Mensch instinktiv thut, wenn er zum äußersten getrieben wird – ich blickte um Hilfe auf zu ihm, der hilft, wenn menschliches Hoffen vergeblich scheint: die Worte»Gott helfe mir!«kamen fast unbewußt von meinen Lippen.

»Ich bin ein Thor!«rief Mr. Rochester plötzlich aus.»Ich fahre fort, ihr zu sagen, daß ich nicht verheiratet bin und erkläre ihr nicht das Warum. Ich vergesse, daß sie nichts von dem Charakter jenes Weibes weiß, noch von den Umständen, welche meine unglückselige Verbindung mit ihr begleiteten. O, ich bin überzeugt, daß Jane mit mir in meiner Ansicht übereinstimmen wird, wenn sie alles weiß, was ich weiß! Leg jetzt deine Hand in die meine, Jane, daß ich wenigstens deine Berührung fühle, daß ich weiß, du bist mir nahe – und dann werde ich dir in wenigen Worten den wahren Stand der Dinge erklären. Willst du mir zuhören?«

»Ja, Sir, stundenlang, wenn Sie wollen.«

»Ich begehre nur Minuten. Jane, hast du jemals gehört oder weißt du, daß ich nicht der älteste Sohn meines Hauses war? Daß ich einst einen Bruder hatte, der älter war als ich?«

»Ich erinnere mich, daß Mrs. Fairfax es mir einmal erzählt hat.«

»Und hast du auch gehört, daß mein Vater ein geiziger, habsüchtiger Mann war?«

»Ich dachte mir etwas derartiges.«

»Und, Jane, da dies der Fall, hatte er den Beschluß gefaßt, Besitztum und Vermögen zusammenzuhalten; er konnte den Gedanken nicht ertragen, seine Güter teilen zu müssen und mir einen gerechten Anteil davon zu geben. Er hatte beschlossen, daß mein Bruder Roland alles bekommen solle. Aber ebensowenig wollte er dulden, daß einer seiner Söhne ein armer Mann sein solle. Für mich sollte durch eine reiche Heirat gesorgt werden. Er suchte mir beizeiten eine Gemahlin. Mr. Mason, ein reicher Kaufmann und Plantagenbesitzer in Westindien war sein alter Freund. Er hatte Erkundigungen eingezogen und in sichere Erfahrung gebracht, daß seine Besitzungen groß und reich seien. Dann hörte er auch, daß Mr. Mason einen Sohn und eine Tochter habe; und von ihm selbst hatte er gehört, daß er letzterer eine Mitgift von dreißigtausend Pfund Sterling zu geben bereit sei – das genügte. Als ich die Universität verließ, wurde ich nach Jamaika geschickt, um eine Braut heimzuführen, um die bereits für mich geworben war. Mein Vater sagte nichts von ihrem Vermögen, aber er sagte mir, daß Miß Mason um ihrer Schönheit willen der Stolz von ganz Spanish town sei. Und dies war keine Lüge. Ich fand in ihr ein schönes Weib – im Stil von Blanche Ingram; schlank, dunkel, majestätisch. Ihre Familie wünschte mich festzuhalten, weil ich einer guten Race entsprungen – und sie wünschte es ebenfalls. Sie wurde mir in prachtvoller Toilette auf Gesellschaften vorgeführt. Selten sah ich sie allein, und fast niemals konnte ich mich mit ihr unter vier Augen unterhalten. Sie schmeichelte mir und entfaltete all ihre Reize und Kenntnisse und Talente im reichlichsten Maße vor mir. Alle die Männer in ihrem Kreise schienen sie zu bewundern und mich zu beneiden. Ich war geblendet, gereizt, meine Sinne waren erregt, und unwissend, unerfahren, jung wie ich war, glaubte ich sie zu lieben. Es giebt keine Thorheit, die zu dumm wäre, daß die wahnsinnigen Nebenbuhlerschaften der Gesellschaft, die Begierde, die Blindheit, der Eifer der Jugend sie einen Mann nicht begehen ließe. Ihre Verwandten ermutigten mich; Mitbewerber reizten mich; sie forderte mich heraus, die Heirat war vollzogen, ehe ich recht wußte, wo ich war. O, ich verliere alle Selbstachtung, wenn ich an jene That denke! – ein Todeskampf innerer Verachtung überwältigt mich. Ich habe sie niemals geliebt, ich habe sie niemals geachtet – ich habe sie nicht einmal gekannt.Ich wüßte von keiner einzigen Tugend ihres Charakters; ich hatte weder Bescheidenheit, noch Seelengüte, noch Offenherzigkeit, noch Reinheit in ihrer Seele, noch in ihrem Benehmen wahrgenommen – und – ich heiratete sie – blinder, grober, täppischer Dummkopf der ich war! Mit weniger Sünde hätte ich – aber laß mich nicht vergessen, mit wem ich spreche.

Die Mutter meiner Braut hatte ich niemals gesehen, man hatte mir zu verstehen gegeben, daß sie tot sei. Als der Honigmonat vorüber war, erfuhr ich, daß ich im Irrtum gelebt; sie war nur wahnsinnig und in einer Irrenheilanstalt untergebracht. Es war auch noch ein jüngerer Bruder da, ein stummer, vollkommener Idiot. Der ältere, den du hier gesehen hast (und den ich nicht hassen kann, während ich alle übrigen Mitglieder seiner Sippe verabscheue, weil er doch noch immer ein Körnchen Liebe in seinem schwachen Geiste hegt, das er oft genug durch das unveränderte Interesse bewiesen, welches er noch immer für seine unglückliche Schwester hegt, und durch eine hündische Anhänglichkeit, die er einst mir gezeigt), auch dieser ältere wird eines Tages dasselbe Schicksal haben. Mein Vater und mein Bruder Roland wußten alles dies, aber sie dachten nur an die dreißigtausend Pfund und machten sich so zu Mitschuldigen der Verschwörung gegen mich.

Dies waren widerliche Entdeckungen, aber meiner Frau machte ich nur aus der verräterischen Geheimhaltung dieser Umstände einen Vorwurf – sonst keinen; selbst dann noch nicht, als ich einsehen lernte, daß ihre Natur der meinen vollständig fremd und entgegengesetzt war; ihr Geschmack dem meinen widerstrebend; ihre Seele gemein, eng, niedrig und vollständig unfähig, sich höheren Dingen zuzuwenden, sich zu vertiefen, – selbst dann noch nicht, als ich fühlte, daß ich nicht einen einzigen Abend, nein, nicht einmal eine einzige Stunde in Behagen und Ruhe mit ihr verbringen konnte; daß ein freundliches Gespräch zwischen uns unmöglich war, weil sie jedem Gegenstand sofort ein rohes, gemeines Gepräge verlieh – selbst dann noch nicht, als ich merkte, daß ich niemals einen ruhigen, geordneten Haushalt haben würde, weil kein Dienstbote die fortwährenden Ausbrüche ihrer heftigen, unvernünftigen Laune oder die Quälereien ihrer abgeschmackten, widersprechenden, herrischen Befehle ertragen konnte! Noch immer beherrschte ich mich ihr gegenüber! Ich vermied alle Vorwürfe, ich machte nur leise Gegenvorstellungen; ich versuchte im Geheimen, meinen Ekel zu überwinden und mit meiner Reue fertig zu werden. Ich unterdrückte den tiefen Widerwillen, welchen ich empfand.

Jane, ich will dich nicht mit abscheulichen Einzelheiten quälen. Einige Kraftworte sollen ausdrücken, was ich zu sagen habe. Mit dem Weibe dort oben habe ich vier Jahre lang gelebt, und vor Ablauf dieser Zeit hatte sie meine Kräfte bereits auf die härtesten Proben gestellt. Ihr Charakter reifte und entwickelte sich mit der furchtbarsten Schnelligkeit; ihre Laster wucherten; sie waren so stark, daß nur Grausamkeit ihnen Einhalt zu thun vermochte – und Grausamkeit wollte ich nicht anwenden. Wie gering war ihr Verstand – und wie riesenhaft ihre bösen Neigungen. Wie furchtbar der Fluch, den diese Neigungen auf mich häuften! Bertha Mason – die echte, würdige Tochter einer abscheulichen Mutter – schleppte mich durch all die entwürdigenden und fürchterlichen Kämpfe, welche ein Mann durchzumachen hat, der an ein Weib gebunden, welches zugleich unkeusch und – dem Trunke ergeben ist.

Inzwischen war mein Bruder gestorben; und nach Ablauf jener vier Jahre starb mein Vater ebenfalls. Jetzt war ich reich genug – und doch der gräßlichsten Armut verfallen; eine Natur so roh, so unrein, so depraviert wie ich niemals eine zweite gesehen, war an mich gebunden, und sowohl die Gesellschaft wie das Gesetz nannten sie einen Teil von mir. Und ich konnte mich durch kein gesetzliches Vorgehen von ihr befreien, denn jetzt entdeckten die Ärzte, daß meine Frauwahnsinnig sei. Ihre Excesse hatten die Keime des Wahnsinns vor der Zeit in ihr gereift. Jane, meine Erzählung erfüllt dich mit Widerwillen; du siehst krank aus – soll ich das Ende auf einen anderen Tag sparen?«

»Nein, Sir, kommen Sie jetzt damit zu Ende – ich bemitleide Sie – ja, ich bemitleide Sie aus tiefstem Herzen.«

»Mitleid, Jane, ist von manchen Menschen ein trauriger und beleidigender Tribut, welchen man berechtigt ist, demjenigen ins Gesicht zurückzuschleudern, der ihn darbringt. Aber das ist jene Art von Mitleid, welches von harten, selbstsüchtigen Herzen gespendet wird: es ist nur ein egoistischer, bastardartiger Schmerz beim Anhören fremder Schmerzen, welcher eine Mischung von Verachtung enthält gegen jene, die sie ertragen haben. Aber solcher Art ist deinMitleid nicht, Jane; in diesem Augenblick durchzuckt der Jammer dein ganzes Gesicht – deine Augen fließen über – dein Herz erbebt – deine Hand zittert in der meinen. Dein Mitleid, mein Liebling, ist die schmerzensreiche Mutter der Liebe: seine Ängste sind die Geburtswehen jener göttlichen Leidenschaft. Ich nehme es an, Jane, dieses Mitleid; mach seiner Tochter jetzt die Bahn frei – ich harre ihrer mit offenen Armen!«

»Fahren Sie jetzt fort, Sir! Was thaten Sie, Sir, als Sie fanden, daß sie wahnsinnig sei?«

»Jane,«ich stand am Rande der Verzweiflung. Zwischen jenem Abgrund und mir stand nur noch ein kleiner Rest von Selbstachtung. In den Augen der Welt stand ich wahrscheinlich entehrt da; aber ich beschloß wenigstens in meinen eigenen Augen rein zu bleiben – und bis zum letzten Augenblick wehrte ich mich gegen die Besudelung mit ihren Verbrechen. Und doch verband die Gesellschaft ihren Namen mit dem meinigen, meine Person mit der ihren. Doch sah und hörte ich sie täglich, ihr Atem verpestete die Luft, welche ich einatmete, und außerdem erinnerte ich mich unaufhörlich daran, daß ich einst ihr Gatte gewesen – diese Erinnerung war damals und ist noch heute unbeschreiblich ekelerregend für mich. Und mehr noch – ich wußte, daß, solange sie lebte, ich niemals der Gatte eines anderen und besseren Weibes werden konnte; und obgleich sie fünf Jahre älter war als ich (ihre Familie und mein Vater hatten mich sogar in Bezug auf ihr Alter belogen) war es doch wahrscheinlich, daß sie ebenso lange leben würde wie ich, da sie ebenso stark an Körper wie schwach an Geist war. – So stand ich mit sechsundzwanzig Jahren da – ohne Hoffnungen! – Eines Nachts war ich durch ihr Gekreisch erweckt worden – seitdem die medizinischen Autoritäten sie für wahnsinnig erklärt hatten, war sie natürlich eingeschlossen – es war eine glühende westindische Nacht; eine von jener Art, wie sie oft den Orkanen jener Gegenden vorausgehen. Da es mir unmöglich war, im Bette zu schlafen, war ich aufgestanden und hatte das Fenster geöffnet. Die Luft glich Schwefeldämpfen – nirgend war Erfrischung und Abkühlung zu finden. Mosquitos kamen hereingeflogen und schwirrten geräuschvoll im Zimmer umher. Das Meer, dessen Rauschen ich von dort hören konnte, rollte dumpf wie ein Erdbeben – schwarze Welken stiegen empor; der Mond ging in den Wolken unter, groß und rot wie eine glühende Kanonenkugel – er warf seinen letzten blutigroten Blick auf eine Welt, welche unter dem Gähren des Sturms erbebte. Dies Bild und die Atmosphäre beeinflußten mich physisch, und in meinen Ohren gellten die Wutschreie, welche die Wahnsinnige fortwährend ausstieß. Meinen Namen brüllte sie in Tönen so dämonischen Hasses, sie fügte ihm so furchtbare Worte hinzu! Das gesunkenste Weib bediente sich nicht so erschütternder Ausdrücke, von denen sie stets einen großen Vorrat hatte. Obgleich sie durch zwei Zimmer von mir getrennt war, gestatteten die dünnen Wände des westindischen Hauses doch, daß ihr tierisches Brüllen bis zu mir drang.

»Dies Leben,«sagte ich endlich,»ist eine Hölle! Dies ist die Luft – jenes ist das Toben der grundlosen Tiefe! Ich habe ein Recht, mich davon frei zu machen, wenn ich kann. Die Qualen dieses Lebens werden von mir weichen mit dem irdischen Fleisch, das jetzt auf meiner Seele lastet. Vor dem ewigen Fegefeuer des Fanatikers hege ich keine Furcht; – kein zukünftiger Zustand kann furchtbarer sein als der gegenwärtige – ich will fort – ich will heim zu Gott!«

Während ich dies sagte, kniete ich nieder und schloß einen Koffer auf, welcher ein paar geladene Pistolen enthielt. Ich wollte mich erschießen. Nur für einen Augenblick hegte ich diese Absicht; denn da ich nicht wahnsinnig war, ging diese Krisis der äußersten, echten Verzweiflung, welche den Wunsch und die Absicht der Selbstzerstörung erzeugt hatte, in einer Sekunde vorüber.

Ein frischer Wind von Europa her strich über den Ozean und strömte ins offene Fenster. Der Sturm brach aus, der Regen stürzte in Bächen herab; es donnerte, blitzte – und die Luft wurde rein. Jetzt faßte ich einen festen Entschluß. Während ich unter den triefenden Orangenbäumen meines feuchten Gartens umherging, zwischen den Granatäpfeln und Ananas, während der strahlende Tag der Tropen um mich heranbrach – da dachte ich so, Jane – und jetzt höre mich an, denn es war die echteste Weisheit, die mich in jener Stunde tröstete und mir den rechten Weg zeigte, den ich wandeln sollte.

Der süße Wind von Europa her flüsterte noch in dem erfrischten Laub und der atlantische Ozean brauste in erhabener Freiheit; mein Herz, seit langer Zeit welk und verschrumpft, schwoll bei jenen Tönen, frisches, lebendes Blut durchfloß es wieder – mein ganzes Ich verlangte eine Wiedergeburt – meine Seele dürstete nach einem frischen Trunk. Ich sah die Hoffnung sich neu beleben – ich fühlte, daß eine Wiedergeburt möglich sei. Von einer blütenbedeckten Laube am Ende meines Garten blickte ich auf das Meer, das blauer war als der Himmel. Da drüben lag die alte Welt! Klare Aussichten eröffneten sich mir.

»Geh,«sagte die Hoffnung.»Lebe wieder in Europa; dort weiß niemand, welchen besudelten Namen du trägst, noch welche schmutzige Last du mit dir schleppst. Du kannst die Wahnsinnige mit dir nach England nehmen; schließe sie mit pflichtgetreuen Wächtern und mit der nötigen Vorsicht in Thornfield ein. Dann geh du selbst in welche Gegend du willst und schließe neue Bande, wenn du magst. Jenes Weib, das deine Geduld so lange gemißbraucht – deinen Namen beschmutzt – deine Ehre gekränkt – deine Jugend zerstört hat – jenes Weib ist nicht deine Gattin; du bist nicht ihr Gatte. Sieh darauf, daß sie gepflegt und behütet wird wie ihr Zustand es erfordert, – und du hast allesgethan, was Gott und Menschenpflicht von dir verlangen. Laß ihre Identität, ihre Verbindung mit dir in Vergessenheit begraben sein. Nichts zwingt dich, letzteres irgend einem lebenden Wesen anzuvertrauen. Gieb ihr Bequemlichkeit und Sicherheit; umgieb ihre Erniedrigung mit dem Schleier des Geheimnisses – und verlaß sie.«

»Nach dieser Eingebung handelte ich genau. Mein Vater und mein Bruder hatten ihren Bekannten von meiner Verheiratung keine Mitteilung gemacht; denn schon in meinem ersten Briefe belehrte ich sie über meine Verbindung, da ich damals schon angefangen hatte, den furchtbarsten Widerwillen gegen ihre Konsequenzen zu empfinden; und da ich nach dem Charakter und der Konstitution der Familie eine abscheuliche Zukunft sich mir eröffnen sah, fügte ich den strengsten Auftrag hinzu, meine Heirat geheim zu halten. Und sehr bald darauf wurde der Lebenswandel der Frau, welche mein Vater für mich gewählt hatte, ein solcher, daß er sich schämte, sie als Schwiegertochter anzuerkennen. Weit entfernt davon, die Verbindung zu veröffentlichen, suchte er sie ebenso ängstlich zu verheimlichen wie ich selbst.

Nach England brachte ich sie folglich. Es war eine furchtbare Reise, die ich mit einem solchen Ungeheuer auf dem Schiffe hatte. Ich war froh, als ich sie endlich in Thornfield hatte und sie sicher in jenem Zimmer der dritten Etage etabliert war, aus dessen innerem geheimem Kabinett sie jetzt seit zehn Jahren die Höhle eines wilden Tiers gemacht hat – die Zelle eines Dämons. Es hat mich viele Mühe gekostet, eine Wärterin für sie zu finden, da es notwendig war, eine solche zu wählen, auf deren Treue man sich verlassen konnte; denn in ihren Tobsuchtsanfällen verriet sie mein Geheimnis; und außerdem hatte sie zuweilen tagelang – nein, ganze Wochen hindurch – lichte Momente, welche sie mit den schmachvollsten Schimpfreden über mich ausfüllte. Endlich mietete ich Grace Poole aus dem Asyl von Grimsby. Sie und der Wundarzt Carter, welcher an jenem Abend, als Mason gestochen und verwundet wurde, dessen Wunden verband, sind die einzigen beiden Menschen, welche ich jemals in mein Geheimnis gezogen habe. Mrs. Fairfax mag in der That etwas geargwohnt haben, aber eine genaue Kenntnis der Fakten kann sie nicht erlangt haben. Grace hat sich im ganzen als gute Wärterin erwiesen, obgleich ihre Wachsamkeit durch einen Fehler, von dem nichts sie zu heilen vermag und der hauptsächlich ihrem aufreibenden Berufe entspringen wird, mehr als einmal eingeschläfert und zu Schanden gemacht worden ist. Die Tobsüchtige ist sowohl schlau wie boshaft; sie hat es niemals unterlassen von der zeitweiligen Nachlässigkeit ihrer Hüterin Gebrauch zu machen und auf ihre Weise Vorteil daraus zu ziehen. Einmal hat sie sich das Messer angeeignet, mit dem sie ihren Bruder verwundete, und zweimal bemächtigte sie sich des Schlüssels ihrer Zelle, um bei Nacht aus derselben zu entweichen. Bei der ersteren Gelegenheit machte sie den Versuch, mich in meinem Bette zu verbrennen; bei der zweiten machte sie dir den geisterhaften Besuch. Ich danke der Vorsehung, die über dir gewacht hat, daß sie ihre Wut an deinem bräutlichen Schmuck ausließ; vielleicht weckte sein Anblick Erinnerungen an ihre eigenen bräutlichen Tage in ihr. Aber ich wage nicht auszudenken, was möglicherweise hätte geschehen können. Wenn ich an das Geschöpf denke, das mich heute Morgen an der Gurgel packte; wenn ich mir vorstelle, daß es sein schwarzblaues, blutrünstiges Gesicht über das Nest meines unschuldigen Lieblings, meiner Taube beugte – so beginnt das Blut in mir zu kochen.«

»Und was thaten Sie, Sir,«fragte ich, als er innehielt,»nachdem Sie sie hier untergebracht hatten? Wohin begaben Sie sich dann?«

»Was ich that, Jane? Ich verwandelte mich in einen Irrwisch. Wohin ich mich begab? Ich machte die wildesten Kreuz- und Querzüge. Ich durchsuchte den Kontinent und durchschweifte all seine Länder. Mein einziger Wunsch, meine fixe Idee war es, ein gutes, kluges Weib zu suchen und zu finden, das ich lieben könnte, den Gegensatz zu der Furie, welche ich in Thornfield zurückgelassen –«

»Aber Sie durften doch nicht heiraten, Sir!«

»Ich hatte beschlossen und war fest überzeugt, daß ich es durfte und mußte. Ursprünglich war es nicht meine Absicht zu täuschen, wie ich dich getäuscht habe. Ich gedachte meine Geschichte einfach zu erzählen und meinen Antrag offen zu machen; und mir erschien es so durchaus selbstverständlich, daß man mich für berechtigt ansehen werde zu lieben und geliebt zu werden, daß ich gar nicht daran zweifelte, ein Weib finden zu können, welches imstande sein werde, meine Lage recht zu verstehen und mich zu nehmen trotz des Fluches, der auf mir lastete.«

»Und nun, Sir?«

»Wenn du neugierig wirst, Jane, muß ich stets lächeln. Du öffnest die Augen wie ein aufgescheuchter Vogel und machst dann und wann eine ruhelose Bewegung. Es ist als kämen die Antworten und Aufklärungen dir nicht schnell genug und als wolltest du dem Sprecher bis ins innerste Herz sehen. Aber ehe ich fortfahre, mußt du mir sagen, was du mit deinem ›Und nun, Sir?‹ meinst. Es ist eine kurze Redensart, die dir eigen ist, und die mich gar manchesmal zu endlosem Reden hingerissen hat; und ich weiß eigentlich nicht weshalb.«

»Ich meine: und was geschah dann? Was thaten Sie weiter? Welche Folgen hatte diese That?«

»Ganz recht. Und was möchtest du jetzt wissen?«

»Ob Sie eine fanden, die Sie liebten. Ob Sie sie zur Frau begehrten und was sie sagte.«

»Ich kann dir sagen, ob ich eine gefunden, die ich liebte und ob ich von ihr erbat, mich zu heiraten – doch was sie antwortete – das ruht noch in der Zeiten Schoße! Zehn lange Jahre irrte ich umher, bald lebte ich in einer Hauptstadt, bald in der anderen; zuweilen auch in St. Petersburg, doch häufiger in Paris; gelegentlich in Rom, Neapel und Florenz. Da ich einen Überfluß von Geld und obendrein noch einen alten Namen als passe-partout hatte, konnte ich mir meine Gesellschaft wählen. Kein Circle blieb mir verschlossen. Ich suchte mein Ideal einer Frau unter englischen Ladies, französischen Gräfinnen, italienischen Signoras und deutschen Baroninnen. Aber ich fand es nicht. Zuweilen, während eines flüchtigen Augenblicks glaubte ich einen Blick gesehen, einen Ton gehört, eine Gestalt erblickt zu haben, welche mir die Verwirklichung meines Traumes verhieß – aber schnell ward ich stets wieder enttäuscht. Du darfst jedoch nicht glauben, daß ich Vollkommenheit suchte, weder an Leib noch an Seele. Ich sehnte mich nur nach dem, was mir sympathisch war – nach dem entschiedenen Gegensatz der Creolin. Und zwischen all diesen fand ich nicht eine einzige, die ich – selbst wenn ich vollständig frei gewesen wäre – zum Weibe begehrt haben würde. Hatte ich doch die Gefahren, die Schrecken, den Fluch einer unpassenden Verbindung kennen gelernt! Enttäuschung machte mich wild und ruhelos. Ich versuchte es mit Zerstreuungen – jedoch niemals mit dem liederlichen Leben – das haßte ich stets und hasse es noch heute. Dies war das Attribut meiner westindischen Messaline gewesen; eingewurzelter Widerwille gegen sie und gegen jegliche Ausschweifung legte mir stets Fesseln an. Jedes Vergnügen, das an Schwelgerei grenzte, schien mich ihr und ihren Lastern näher zu bringen. Deshalb vermied ich es ängstlich.

Und doch konnte ich nicht allein leben. So versuchte ich es denn mit der Gesellschaft von Maitressen. Die erste, welche ich nahm, war Cecile Varens – auch ein solcher Schritt, der einen Mann mit Selbstverachtung erfüllt, wenn er an ihn zurückdenkt. Du weißt ja bereits, was sie war, und wie meine Liaison mit ihr geendet hat. Sie hatte zwei Nachfolgerinnen, eine Italienerin, Giacinta, und eine Deutsche, Clara; beide waren außerordentliche Schönheiten. Aber was war ihre Schönheit noch für mich nach Verlauf von wenigen Wochen? Giacinta war leichtsinnig und heftig – nach drei Monaten war ich ihrer müde geworden. Clara war ehrlich und ruhig; aber schwerfällig, seelenlos und kalt. Durchaus nicht nach meinem Geschmack. Ich war nur zu froh, ihr eine hinlängliche Summe geben zu können, mit welcher sie sich ein einträgliches Geschäft gründete, und sie so auf anständige Weise los zu werden.

Aber Jane, ich sehe es deinem Gesicht an, daß du dir im letzten Augenblick keine sehr günstige Meinung von mir bildest. Du hältst mich für einen gefühllosen, leichtsinnigen Schurken – nicht wahr?«

»In der That, Sir, ich denke nicht mehr so groß von Ihnen, wie ich es einmal gethan. Dünkte es Sie denn durchaus nicht Unrecht, ein solches Leben zu führen – erst mit einer Maitresse und dann mit einer zweiten? Sie sprechen davon, als wenn es die allernatürlichste Sache der Welt wäre.«

»Das war es auch für mich. Aber ich verabscheute dies Leben. Es war eine niedrige Art des Daseins, es wäre mir nimmermehr möglich dazu zurückzukehren. Eine Maitresse nehmen ist ungefähr dasselbe wie einen Sklaven kaufen; beide sind von Natur aus untergeordnete Wesen, und auf familiärem Fuße mit untergeordneten Geschöpfen leben ist erniedrigend. Ich hasse jetzt sogar die Erinnerung an die Zeit, die ich mit Celine, Giacinta und Clara verlebte.«

Ich empfand die Wahrheit dieser Worte; und ich zog aus ihnen die unumstößliche Gewißheit, daß wenn ich mich selbst und alle Lehren, die jemals in meine Seele und meinen Verstand gelegt, so weit vergäße, die Nachfolgerin dieser armen Geschöpfe zu werden – unter welchem Vorwande, welcher Rechtfertigung es auch sein möchte – er mich eines Tages mit denselben Empfindungen ansehen würde, welche jetzt das Andenken an sie in seinem Geiste entheiligte. Dieser Überzeugung verlieh ich jedoch nicht Ausdruck – es war genug, sie zu hegen. Ich prägte sie meinem Herzen ein, daß sie dort Wurzel fassen und mir in der Zeit der Versuchung als Stütze dienen möge.

»Nun, Jane, weshalb sagst du nicht wieder ›Und nun, Sir?‹ Ich bin noch nicht zu Ende. Du siehst so ernst aus. Ich sehe, du mißbilligst meine Handlungsweise noch immer. Aber laß mich zum wichtigsten Punkt kommen. Im letzten Januar, frei gemacht von allen Maitressen – in einer harten, verbitterten Stimmung, (das Resultat eines nutzlosen, umherschweifenden, einsamen Lebens) – aufgerieben durch Täuschungen, gereizt gegen alle Menschen, und besonders gegen das ganze weibliche Geschlecht (denn jetzt begann ich zu glauben, daß das Bild eines klugen, treuen, liebenden Weibes nur eine Traumgestalt sei) riefen Geschäfte mich nach England zurück.

An einem frostigen Winternachmittag tauchte Thornfield-Hall wieder vor meinen Blicken auf. Verhaßter Ort! Ich erwartete dort keinen Frieden – keine Freude. Auf einem Heckenweg in dem Heugäßchen sah ich eine kleine, einsame Gestalt sitzen. Ich ritt so nachlässig an ihr vorüber wie an dem gekappten Weidenbaum an der andern Seite des Weges. Keine Ahnung warnte mich vor dem, was sie mir dereinst sein würde; kein Vorgefühl sagte mir, daß die Schiedsrichterin über Leben und Tod – mein guter oder böser Geist – dort in einfacher Gewandung auf mich warte. Ich wußte es selbst dann noch nicht, als sie bei dem Unfall mit Merrour an mich herantrat und mir demütig und bescheiden ihre Hilfe anbot! Kindliches, zartes Geschöpf! Es war als sei mir ein Hänfling vor die Füße gehüpft und hätte sich erboten, mich auf seinen gebrechlichen Flügeln zu tragen. Ich war unwirsch, aber das kleine Ding wollte nicht gehen. Es stand neben mir mit seltsamer Ausdauer und in Sprache und Blick lag etwas wie Überlegenheit! Ich mußte mir helfen lassen, und zwar durch jene Hand. Und sie half mir!

Als ich mich auf die zarte, gebrechliche Schulter gestützt hatte, kam etwas neues über mich – ein ungekanntes Gefühl bemächtigte sich meiner – ein anderes Blut durchfloß meine Adern. Es war gut, daß ich er fuhr, jene Elfe müsse zu mir zurückkehren – daß sie zu meinem Hause dort unten gehöre – oder ich hätte sie nicht wieder sich meiner Hand entwinden lassen, ich hätte es nicht ertragen, daß sie still und behende wieder hinter jener dicken Hecke verschwand.

Ich hörte dich an jenem Abend nach Hause kommen, Jane; obgleich du wahrscheinlich nicht wußtest, daß ich an dich dachte oder auf dich wartete. Am folgenden Tage beobachtete ich dich – selbst ungesehen – wie du während einer halben Stunde mit Adele in der Galerie spieltest. Ich erinnere mich dessen noch, es war ein schneeiger Tag, und ihr konntet nicht ins Freie gehen. Ich war in meinem Zimmer, die Thür war halb geöffnet, ich konnte sowohl hören wie sehen. Adele nahm deine äußere Aufmerksamkeit während einer Weile in Anspruch, und doch bildete ich mir ein, daß deine Gedanken anderswo seien. Aber du warst sehr geduldig mit ihr, meine kleine Jane; du amüsiertest sie und unterhieltst dich lange genug mit ihr. Als sie dich endlich verließ, versankst du sofort in tiefe Träumereien; du begannst langsam in der Galerie auf- und abzuschreiten. Hier und da, wenn du an einem Fenster vorüber kamst, blicktest du hinaus auf den unablässig fallenden Schnee; du horchtest auf den heulenden Wind – und wieder begannst du leise hin und her zu gehen und zu träumen.

Ich glaube, jene wachenden Träume waren nicht düster; dann und wann leuchtete dein Auge freudig auf, eine sanfte Erregung bemächtigte sich deiner Züge – das war kein bitteres, galliges, hypochondrisches Brüten, deine Blicke verrieten eher das süße Grübeln der Jugend, wenn ihr Geist auf leichten Flügeln dem Fluge der Hoffnung folgt und einem idealen Himmel zustrebt. Die Stimme von Mrs. Fairfax, welche in der Halle sprach, rüttelte dich auf, und wie seltsam du über dich selbst lachtest, Jane! Es lag viel Sinn in deinem Lächeln; es war sehr fein und schien über deine eigene Geistesabwesenheit zu spotten. Es schien zu sagen: ›mein prächtigen Visionen sind wohl wunderbar, aber ich darf nicht vergessen, daß sie durchaus wesenlos sind.‹ In meinem Hirn trage ich einen rosigen Himmel und ein grünendes, blühendes Eden; aber ich weiß sehr wohl, daß hier draußen ein rauher Pfad vor meinen Füßen liegt, den ich durchwandeln muß, und daß um mich her sich schwarze Gewitterwolken zusammenballen, denen ich trotzen muß. Dann liefst du hinunter und batest Mrs. Fairfax, dir eine Beschäftigung zu geben, nämlich die Haushaltsrechnungen der Woche zu ordnen oder etwas Ähnliches. Habe ich nicht recht? Ich zürnte dir damals, daß du dich meinen Blicken entzogst.

Ungeduldig wartete ich auf den Abend, damit ich dich zu mir rufen lassen könne. Ich vermutete in dir einen neuen – für michneuen – ungewöhnlichen Charakter. Ich hegte den Wunsch ihn zu ergründen und ihn näher kennen zu lernen. Du tratest ins Zimmer mit einem Blick, der zugleich Bescheidenheit und Unabhängigkeit verriet. Du warst einfach gekleidet – ungefähr so wie jetzt. Ich brachte dich zum Sprechen – und es dauerte nicht lange, so fand ich, daß die seltsamsten Kontraste in dir waren. Deine Kleidung und deine Manieren waren durch die Norm eingeschränkt und beengt; deine Mienen und Betragen waren oft voll von Mißtrauen, aber durchaus verfeinert von Natur aus, wenn auch total ungewöhnt an Gesellschaft. Man fühlte es, wie sehr du fürchtetest, dich durch einen Mißgriff oder eine Ungeschicklichkeit unvorteilhaft auffallend zu machen; wenn man dich jedoch anredete, so erhobst du ein klares, unerschrockenes, mutiges Auge zu dem Gesicht des mit dir Redenden; in jedem deiner Blicke lag Kraft und Unterscheidungsgabe; wenn man dir verfängliche Fragen stellte, fandest du stets klare und sachgemäße Antworten. Sehr bald schienst du dich an mich zu gewöhnen – Jane, ich glaube du fühltest, daß zwischen dir und deinem grimmen, harten Herrn Sympathie existierte; denn es war erstaunlich zu sehen, wie schnell ein gewisses freudiges Behagen dein Wesen ruhiger stimmte; wie sehr ich auch brummte und murrte, du trugst weder Erstaunen, noch Furcht, Verstimmung oder Ärger über meine Unfreundlichkeit zur Schau. Du beobachtetest mich und lächeltest dann und wann mit einer einfachen aber klugen Anmut, die ich nicht zu beschreiben vermag. Ich war zugleich zufrieden und gereizt durch das, was ich sah. Mir gefiel, was ich gesehen hatte und ich wünschte mehr zu sehen. Und doch behandelte ich dich während langer Zeit kalt und suchte deine Gesellschaft nur selten. Ich war ein kluger Epikuräer und wünschte die Annehmlichkeit zu verlängern, welche das Machen dieser neuen und pikanten Bekanntschaft mir gewährte. Außerdem quälte mich eine Zeit lang eine qualvolle Furcht, daß der Schmelz von der Blüte fallen würde, wenn ich zu sorglos mit ihr umginge – daß der süße Reiz ihrer Frische sich verlieren werde. Damals wußte ich ja noch nicht, daß es keine vergängliche Blüte sei, sondern das Ebenbild einer solchen aus einem unvergänglichen Edelstein geschnitten. Und überdies wollte ich sehen, ob du mich suchen würdest, wenn ich dich mied – aber das thatest du nicht; du hieltst dich immer im Schulzimmer auf, so still wie dein Schreibtisch, wie deine Staffelei. Wenn ich dir zufällig begegnete, gingst du mir so schnell und so fremd vorbei, wie es sich nur irgend mit den Gesetzen der Höflichkeit vereinbaren ließ. Dein gewöhnlicher Gesichtsausdruck in jenen Tagen, Jane, war ein gedankenvoller; nicht niedergeschlagen, denn du warst nicht krankhaft; aber auch nicht fröhlich, denn du hattest wenig Hoffnung und kein einziges wirkliches Vergnügen. Ich fragte mich verwundert, was du wohl von mir denken könnest, oder ob du überhaupt an mich dächtest – und um dies ausfindig zu machen, fing ich wieder an, dir Beachtung zu schenken. Es lag etwas Freundliches in deinem Blick, etwas Sympathisches in deiner Weise, wenn du dich unterhieltst; ich sah, daß du ein mitteilsames Herz hattest – es war also nur das stille Schulzimmer, das ewige Einerlei deines täglichen Lebens, das dich traurig machte. Ich gestattete mir die Freude, gütig gegen dich zu sein. Güte belebte dein Empfinden gar bald. Der Ausdruck deines Angesichts sänftigte sich, deine Stimme wurde weich; es erfüllte mich mit Wonne, wenn du meinen Namen in so dankbaren, glücklichen Lauten aussprachst. Es machte mir Vergnügen, wenn ich dich damals durch einen Zufall traf, Jane. In deinem Benehmen lag etwas eigentümlich Zauderndes; du blicktest mich mit leiser Unruhe an – ein zeitweiliger Zweifel: du wußtest ja nicht, welche Kaprice mich wiederum treiben mochte – ob ich wiederum den Herrn spielen und strenge und hart sein oder den Freund herauskehren und wohlwollend sein würde. Ich hatte dich jetzt schon zu lieb gewonnen, um die erstere Rolle oft zu spielen; und wenn ich meine Hand freundlich ausstreckte, kam so viel Wonne und Licht und Farbe in deine jungen, traurigen Züge, daß ich mir oft Gewalt anthun mußte, um nicht die Arme auszubreiten und dich an mein volles Herz zu ziehen.«

»Sprechen Sie nicht mehr von jenen Tagen, Sir,«unterbrach ich ihn, indem ich verstohlen einige Thränen von meinen Wimpern trocknete. Seine Worte waren Todesqualen für mich, denn ich wußte, was ich thun mußte– und baldthun – und all diese Erinnerungen, diese Reminiscenzen machten mir meine Aufgabe nur noch schwerer.

»Nein, Jane,«erwiderte er,»wozu auch bei der Vergangenheit weilen, wenn die Gegenwart so viel Gewißheit bietet – wenn die Zukunft so hell und klar ist?«

Ein Schauder erfaßte mich, als ich diesen thörichten Ausspruch vernahm.

»Du siehst jetzt, wie die Sache steht – nicht wahr?«fuhr er fort.»Nachdem ich meine Jugend und meine Mannesjahre zur einen Hälfte in unsagbarem Elend, zur andern in trauriger Einsamkeit zugebracht, habe ich zum erstenmale gefunden, was ich wahrhaft lieben kann – habe ich dichgefunden. Du bist meine Sympathie – mein besseres Ich – mein guter Engel – ich hänge an dir mit einer starken Liebe. Ich glaube dich gut, begabt, klug, lieblich; eine glühende, eine heilige Leidenschaft wohnt in meinem Herzen; sie lehnt sich an dich, sie lenkt mein innerstes Sein, meinen Lebensquell zu dir, hüllt dich in mein ganzes Wesen ein – und indem sie in einer reinen, mächtigen Flamme auflodert, verschmilzt sie dich und mich in eins!

Weil ich dies fühlte und wußte, beschloß ich dich zu heiraten. Es ist leerer Hohn, mir zu entgegnen, daß ich bereit eine Gattin habe. Du weißt jetzt, daß ich nur einen widerwärtigen, grauenhaften Dämon habe. Es war ein furchtbares Unrecht, daß ich versuchte, dich zu täuschen, aber ich fürchtete den Eigensinn, der in deinem Charakter liegt. Ich fürchtete früh eingeimpfte Vorurteile; ich wollte dich in Sicherheit bringen, bevor ich mich an jene vertraulichen Mitteilungen wagte. Dies war feige. Zuerst hätte ich an deine Großmut, deinen Edelsinn appellieren sollen, wie ich es jetzt thue – ich hätte mein ganzes Leben der Qual vor dir offenbaren sollen – dir meinen Hunger, meinen Durst nach einem höheren, würdigeren Dasein beschreiben müssen – dir gezeigt haben, nicht meinen Entschluß(das ist ein schwaches Wort), sondern mein namenloses, unwiderstehliches Verlangen treu und innig zu lieben, wo ich treue und innige Gegenliebe finde. Dann erst hätte ich dich bitten dürfen, mein Gelübde der Treue anzunehmen und mir das deine zu geben, Jane – gieb es mir jetzt.«

Eine Pause.

»Weshalb schweigst du, Jane?«

Ich litt Todesqualen; eine feurige Hand griff mir nach dem Sitz alles Lebens. Furchtbarer Augenblick, voll Kampf, Dunkelheit und Marter! Kein lebendes Wesen konnte eine heißere Liebe begehren als wie sie mir wurde, und ich betete den an, der mich so liebte! Dennoch mußte ich meinem Abgott, meiner Liebe entsagen!

Einfurchtbares Wort begriff meine entsetzliche Pflicht in sich:»Reise ab!«

»Jane, du verstehst doch, was ich von dir verlange? Nur dies Versprechen – ich will die Ihrige sein, Mr. Rochester.«

»Mr. Rochester, ich will nichtdie Ihrige sein.«

Wieder langes Schweigen.

»Jane!«begann er wieder mit einer Sanftmut und Zärtlichkeit, die mich fast erstarren machte, die mich mit ihrem bedeutungsvollen Schrecken beinahe zu Stein verwandelte – denn diese ruhige Stimme war das Keuchen des erwachenden Löwen.

»Jane, gedenkst du etwa deinen eigenen Weg im Leben zu gehen, während ich einen anderen einschlage?«

»Ja!«

»Jane,«indem er sich zu mir neigte und mich umarmte,»bist du wirklich dazu entschlossen?«

»Ja, das bin ich.«

»Und jetzt?«indem er mir Stirn und Wangen küßte.

»Noch immer –«indem ich mich vollständig und schnell aus seiner Umarmung frei machte.

»O, Jane, dies ist bitter! Dies ist – boshaft! Es wäre keine Sünde, mich zu lieben.«

»Es wäre aber Sünde, wenn ich Ihnen willfahrte.«

Ein wilder Blick aus seinen Augen traf mich – einen Augenblick verzerrten sich seine Züge. Er erhob sich, aber er beherrschte sich noch. Ich griff nach einem Stuhl, um mich zu stützen; ich bebte, ich fürchtete mich – aber ich blieb entschlossen.

»Noch einen Augenblick, Jane. Wirf nur einen Blick auf mein furchtbares Leben, wie es sein würde, wenn du mich verlassen solltest. Mit dir würde all mein Glück wieder von mir gehen. Was bleibt mir denn übrig? Als Gattin habe ich nur jene Tobsüchtige dort oben; ebensogut könntest du mich an einen Leichnam da drüben auf dem Friedhof weisen. Was soll ich thun, Jane? Wo eine Gefährtin suchen? Wo Hoffnung finden?«

»Thun Sie, was ich thue. Vertrauen Sie auf Gott und sich selbst. Glauben Sie an den Himmel und an eine Vereinigung da oben.«

»Du willst also nicht nachgeben?«

»Nein!«

»Du verdammst mich also dazu, unglücklich zu leben und mit Fluch beladen zu sterben?«– Seine Stimme wurde lauter und lauter.

»Ich rate Ihnen nur, sündenlos zu leben, und ich wünsche Ihnen ruhig zu sterben.«

»Dann entreißt du mir also alle Liebe, alle Unschuld? –







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