Студопедия — Фризер BQ320
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Фризер BQ320






Fast auf jeder Stufe dieser Darlegungen habe ich anerkennen müssen, dass die meisten Erscheinungen, um deren Verständnis wir uns bemühen, auch auf angeborener Eigenart beruhen können. Diese entzieht sich jeder Erklärung, welche über die Constatirung der Thatsachen hinausgehen wollte. Aber auch die Fähigkeit, Hysterie zu acquiriren, ist gewiss an eine Eigenart der Menschen gebunden, und der Versuch wäre vielleicht nicht ganz wertlos, diese etwas genauer zu definiren.

[ 211 ] Ich habe oben auseinandergesetzt, warum die Anschauung Janet’s unannehmbar ist: Die Disposition zur Hysterie beruhe auf angeborener psychischer Schwäche. Der Praktiker, der als Hausarzt die Glieder hysterischer Familien in allen Altersstufen beobachtet, wird gewiss eher geneigt sein, diese Disposition in einem Ueberschuss als in einem Defect zu suchen. Die Adolescenten, welche später hysterisch werden, sind vor ihrer Erkrankung meist lebhaft, begabt, voll geistiger Interessen; ihre Willensenergie ist oft bemerkenswert. Zu ihnen gehören jene Mädchen, die Nachts aufstehen, um heimlich irgend ein Studium zu treiben, das ihnen die Eltern aus Furcht vor Ueberanstrengung versagten. Die Fähigkeit besonnenen Urtheils ist gewiss ihnen nicht reichlicher gegeben als anderen Menschen. Aber selten findet man unter ihnen einfache, stumpfe Geistesträgheit und Dummheit. Die überströmende Productivität ihrer Psyche brachte einen meiner Freunde zu der Behauptung: die Hysterischen seien die Blüte der Menschheit, freilich so steril, aber auch so schön wie die gefüllten Blumen.

Ihre Lebhaftigkeit und Unrast, ihr Bedürfnis nach Sensationen und geistiger Thätigkeit, ihre Unfähigkeit, Monotonie und Langweile zu ertragen, lassen sich so formuliren: sie gehörten zu jenen Menschen, deren Nervensystem in der Ruhe ein Uebermaass von Erregung frei macht, welches Verwendung fordert (s. pag. 172). Während und infolge der Pubertätsentwicklung tritt zu dem originären Ueberschuss noch jene gewaltige Steigerung der Erregung, welche von der erwachenden Sexualität, von den Geschlechtsdrüsen ausgeht. Nun ist ein übergrosses Quantum freier nervöser Erregung verfügbar für pathologische Phänomene: aber, damit diese in Form hysterischer Krankheitserscheinungen auftreten, dazu braucht es offenbar noch einer anderen, specifischen Eigenart des Individuums. Denn die grosse Mehrzahl der lebhaften, erregten Menschen wird ja doch nicht hysterisch.

Diese Eigenart konnte ich oben nur mit dem vagen und inhaltsarmen Worte: „abnorme Erregbarkeit des Nervensystems“ bezeichnen. Man kann aber doch vielleicht weiter gehen und sagen: diese Abnormität liege eben darin, dass bei solchen Menschen in die Nervenapparate der Empfindung, welche de norma nur peripheren Reizen zugänglich sind, und in diejenigen der vegetativen Organe, welche durch starke Widerstände vom Centralnervensystem isolirt sind, die Erregung des Centralorgans einströmen kann. Diese Vorstellung von dem immer vorhandenen Erregungsüberschuss, welchem die sensiblen, vasomotorischen und visceralen Apparate zugänglich sind, kann vielleicht schon einige pathologische Phänomene decken.

[ 212 ] Sowie bei so beschaffenen Menschen die Aufmerksamkeit gewaltsam auf einen Köpertheil concentrirt wird, übersteigt die „attentionelle Bahnung“ (Exner) der betreffenden sensiblen Leitung das normale Maass; die freie, flottirende Erregung versetzt sich, so zu sagen, auf diese Bahn, und es entsteht die locale Hyperalgesie, welche es verursacht, dass alle, irgendwie bedingten, Schmerzen maximal intensiv werden, dass alle Leiden „furchtbar“ und „unerträglich“ sind. Aber die Erregungsquantität, welche einmal eine sensible Bahn besetzt hat, verlässt sie nicht immer wieder wie beim normalen Menschen; sie verharrt nicht bloss, sondern vermehrt sich durch Zuströmen immer neuer Erregungen. So entwickelt sich nach einem leichten Gelenkstrauma eine Gelenksneurose; die Schmerzempfindungen der Ovarialschwellung werden zur dauernden Ovarie.

Die Nervenapparate der Circulation sind dem cerebralen Einfluss zugänglicher als beim Normalen: es besteht nervöses Herzklopfen, Neigung zur Synkope, excessives Erröthen und Erblassen u. s. f.

Aber allerdings nicht bloss centralen Einflüssen gegenüber sind die peripheren nervösen Apparate leichter errregbar: sie reagiren auch auf die adäquaten, functionellen Reize in excessiver und perverser Weise. Das Herzklopfen folgt mässiger Anstrengung wie gemütlicher Aufregung, und die Vasomotoren bringen Arterien zur Contraction („absterbende Finger“) ohne allen psychischen Einfluss. Und gerade wie einem leichten Trauma die Gelenksneurose folgt, so hinterlässt eine kurze Bronchitis nervöses Asthma und eine Indigestion häufige Cardialgie. So müssen wir anerkennen, dass die Zugänglichkeit für Erregungssummen centralen Ursprungs nur ein Specialfall der allgemeinen abnormen Erregbarkeit ist,[18] wenn auch der für unser Thema wichtigste.

Ich glaube darum auch nicht, dass die alte „Reflextheorie“ dieser Symptome, die man vielleicht besser einfach „nervöse“ nennen würde, die aber zu dem empirischen Krankheitsbilde der Hysterie gehören, ganz zu verwerfen ist. Das Erbrechen, das ja die Dehnung des graviden Uterus begleitet, kann bei abnormer Erregbarkeit ganz wohl von geringfügigen uterinen Reizen reflectorisch ausgelöst werden; ja vielleicht auch von den wechselnden Schwellungen der Ovarien. Wir kennen so viele Fernwirkungen von Organveränderungen, so viele sonderbar „conjugirte Punkte“, dass es nicht abzuweisen ist, eine Menge nervöser Symptome, welche das einemal psychisch bedingt sind, möchten in anderen Fällen [ 213 ] reflectorische Fernwirkungen sein. Ja, ich wage die höchst unmoderne Ketzerei, es könnte doch einmal auch die Bewegungsschwäche eines Beines nicht psychisch, sondern direct reflectorisch durch eine Genitalkrankheit bedingt sein. Ich meine, wir thun gut, unsere neuen Einsichten nicht allzu ausschliesslich gelten zu lassen und für alle Fälle zu generalisiren.

Andere Formen abnormer sensibler Erregbarkeit entziehen sich unserem Verständnisse noch vollständig; so die allgemeine Analgesie, die anästhetischen Plaques, die reale Gesichtsfeldeinengung u. dgl. m. Es ist möglich und vielleicht wahrscheinlich, dass weitere Beobachtungen den psychischen Ursprung des einen oder anderen dieser Stigmen nachweisen und damit das Symptom erklären werden; bisher ist das nicht geschehen; (ich wage nicht, die Anhaltspunkte, welche unsere Beobachtung I gibt, zu verallgemeinern), und ich halte es nicht für gerechtfertigt, bevor eine solche Ableitung gelungen ist, sie zu präsumiren.

Dagegen scheint die bezeichnete Eigenart des Nervensystems und der Psyche einige allbekannte Eigenschaften vieler Hysterischen zu erklären. Der Ueberschuss von Erregung, welchen ihr Nervensystem in der Ruhe frei macht bedingt ihre Unfähigkeit, ein monotones Leben und Langweile zu ertragen; ihr Sensationsbedürfniss, welches sie dazu treibt, nach Ausbruch der Krankheit die Eintönigkeit der Krankenexistenz durch allerlei „Ereignisse“ zu unterbrechen, als welche sich naturgemäss vor allem pathologische Phänomene darbieten. Die Autosuggestion unterstützt sie darin oft. Sie werden darin immer weiter geführt durch ihr Krankheitsbedürfniss, jenen merkwürdigen Zug, der für die Hysterie so pathognomonisch ist, wie die Krankheitsfurcht für die Hypochondrie. Ich kenne eine Hysterica, welche ihre oft recht bedeutenden Selbstbeschädigungen nur für den eigenen Gebrauch vornahm, ohne dass Umgebung und Arzt davon erfuhren. Wenn nichts anderes, so vollzog sie, allein im Zimmer, allerlei Unfug, nur um sich selbst zu beweisen, sie sei nicht normal. Sie hat eben ein deutliches Gefühl ihrer Krankhaftigkeit, erfüllt ihre Pflichten ungenügend und schafft sich durch solche Acte die Rechtfertigung vor sich selbst. Eine andere Kranke, eine schwerleidende Frau von krankhafter Gewissenhaftigkeit und voll Misstrauen gegen sich selbst, empfindet jedes hysterische Phänomen als Schuld; „weil sie das ja wohl nicht haben müsste, wenn sie nur ordentlich wollte“. Als die Parese ihrer Beine irrigerweise für eine spinale Krankheit erklärt wurde, empfand sie das [ 214 ] als eine Erlösung, und die Erklärung, es sei „nur nervös“ und werde vergehen, genügte, um ihr schwere Gewissensangst zu erzeugen. Das Krankheitsbedürfniss entspringt der Sehnsucht der Patientin, sich und andere von der Realität ihrer Krankheit zu überzeugen. Wenn es sich dann zu der Pein gesellt, welche durch die Monotonie des Krankenzimmers bedingt wird, so entwickelt sich die Neigung, immer neue Symptome zu haben, auf’s stärkste.

Wenn diese aber zur Verlogenheit wird und zu wirklicher Simulation führt – und ich glaube, wir gehen jetzt in der Ablehnung der Simulation gerade so zu weit, wie früher in ihrer Annahme – dann beruht das nicht auf der hysterischen Disposition, sondern, wie Möbius vortrefflich sagt, auf der Complication derselben mit andern Degenerationen, originärer moralischer Minderwertigkeit. Gerade wie die „bösartige Hysterica“ dadurch entsteht, dass ein originär erregbarer, aber gemütsarmer Mensch noch der egoistischen Charakterverkümmerung anheimfallt, welche chronisches Siechthum so leicht erzeugt. Die „bösartige Hysterica“ ist übrigens kaum häufiger als der bösartige Tabiker späterer Stadien.

Auch in der motorischen Sphäre erzeugt der Erregungsüberschuss pathologische Phänomene. So geartete Kinder entwickeln sehr leicht tickartige Bewegungen, welche, zuerst angeregt durch irgend eine Empfindung in den Augen oder im Gesichte oder durch die Gêne eines Kleidungsstückes, alsbald Dauer gewinnen, wenn sie nicht sogleich bekämpft werden. Die Reflexbahnen werden sehr leicht und rasch „ausgefahren“.

Es ist auch nicht abzuweisen, dass es einen rein motorischen, von jedem psychischen Factor unabhängigen Krampfanfall gebe, in dem sich nur die durch Summation angehäufte Erregungsmasse entlädt, geradeso wie die durch anatomische Veränderungen bedingte Reizmasse im epileptischen Anfalle. Das wäre der nicht ideogene hysterische Krampf.

Wir sehen so oft Adolescenten, welche zwar erregbar, aber gesund waren, während der Pubertätsentwicklung an Hysterie erkranken, dass wir uns fragen müssen, ob dieser Process nicht dort die Disposition schafft, wo sie originär noch nicht vorhanden ist. Und allerdings müssen wir ihm mehr zuschreiben als die einfache Steigerung des Erregungsquantums; die Geschlechtsreifung greift im ganzen Nervensystem an, überall die Erregbarkeit steigernd und die Widerstände herabsetzend. Das lehrt die Beobachtung der nicht hysterischen Adolescenten, und [ 215 ] wir sind darum berechtigt zu glauben, dass sie auch die hysterische Disposition herstelle, soweit diese eben in dieser Eigenschaft des Nervensystems besteht. Damit anerkennen wir bereits die Sexualität als einen der grossen Componenten der Hysterie. Wir werden sehen, dass ihr Antheil daran ein noch viel grösserer ist, und dass sie auf den verschiedensten Wegen zum Aufbau der Krankheit mitwirkt.

 

 

Wenn die Stigmata direct dem originären Mutterboden der Hysterie entspringen und nicht ideogenen Ursprungs sind, so ist es auch unmöglich, die Ideogenie so in den Mittelpunkt der Hysterie zu stellen, wie es heute manchmal geschieht. Was könnte denn echter hysterisch sein als die Stigmata, jene pathognomonischen Befunde, welche die Diagnose feststellen, und doch scheinen gerade diese nicht ideogen. Aber wenn die Basis der Hysterie eine Eigenart des ganzen Nervensystems ist, – auf ihr erhebt sich der Complex von ideogenen, psychisch bedingten Symptomen wie ein Gebäude auf den Fundamenten. Und es ist ein mehrstöckiges Gebäude. Wie man die Structur eines solchen nur dann verstehen kann, wenn man den Grundriss der verschiedenen Stockwerke unterscheidet, so, meine ich, ist das Verständniss der Hysterie davon bedingt, dass die verschiedenartige Complication der Symptomursachen beachtet wird. Sieht man davon ab und versucht die Erklärung der Hysterie mit Benützung eines einzigen Causalnexus durchzuführen, so bleibt immer ein sehr grosser Rest unerklärter Phänomene übrig; es ist gerade, als wollte man die verschiedenen Gelasse eines mehrstöckigen Hauses auf dem Grundriss eines Stockwerkes eintragen.

Wie die Stigmata ist eine Reihe anderer nervöser Symptome, wie wir oben sahen, nicht durch Vorstellungen veranlasst, sondern directe Folge der fundamentalen Anomalie des Nervensystems: manche Algien, vasomotorische Phänomene, vielleicht der rein motorische Krampfanfall.

Ihnen zunächst stehen die ideogenen Phänomene, welche einfach Conversionen affectiver Erregung sind (pag. 177). Sie entstehen als Wirkungen von Affecten in Menschen von hysterischer Disposition und sind zunächst nur „anomaler Ausdruck der Gemüthsbewegungen (Oppenheim)[19]). Dieser wird durch Wiederholung zu einem wirklichen, scheinbar rein somatischen hysterischen Symptom, während die veranlassende Vorstellung unmerklich wird (pag. 180) oder abgewehrt und [ 216 ] darum aus dem Bewusstsein verdrängt ist. Die meisten und wichtigsten der abgewehrten und convertirten Vorstellungen haben sexualen Inhalt. Sie liegen einem grossen Theil der Pubertätshysterie zu Grunde. Die heranreifenden Mädchen, – um diese handelt es sich hauptsächlich – verhalten sich zu den sexualen Vorstellungen und Empfindungen, die auf sie eindringen, sehr verschieden. Bald mit voller Unbefangenheit, wobei die einen das ganze Gebiet ignoriren und übersehen. Die andern nehmen sie so an wie die Knaben; das ist bei Bauern- und Arbeitermädchen wohl die Regel. Wieder andere haschen mit mehr oder minder perverser Neugier nach allem, was Gespräch und Lectüre ihnen an Sexualem bringt; und endlich die feinorganisirten Naturen von grosser sexualer Erregbarkeit, aber ebenso grosser moralischer Reinheit, welche alles Sexuale als unvereinbar mit ihrem sittlichen Inhalt empfinden, als Beschmutzung und Befleckung.[20] Diese verdrängen die Sexualität aus ihrem Bewusstsein und die affectiven Vorstellungen solchen Inhaltes, welche somatische Phänomene verursacht haben, werden als „abgewehrte“ unbewusst.

Die Neigung zur Abwehr des Sexualen wird noch verstärkt dadurch, dass die sinnliche Erregung bei der Jungfrau eine Beimischung von Angst hat, die Furcht vor dem Unbekannten, Geahnten, was kommen wird, während sie bei dem natürlichen, gesunden, jungen Manne, ein unvermischt aggressiver Trieb ist. Das Mädchen ahnt im Eros die furchtbare Macht, die ihr Schicksal beherrscht und entscheidet, und wird durch sie geängstigt. Um so grösser ist die Neigung, wegzublicken und das Aengstigende aus dem Bewusstsein zu verdrängen.

Die Ehe bringt neue sexuale Traumen. Es ist zu wundern, dass die Brautnacht nicht häufiger pathogen wirkt, da sie doch leider so oft nicht erotische Verführung, sondern Nothzucht zum Inhalt hat. Aber freilich sind ja auch die Hysterien junger Frauen nicht selten, welche darauf zurückzuführen sind und schwinden, wenn sich im Verlauf der Zeit der Sexualgenuss eingestellt und das Trauma verwischt hat. Auch im weiteren Verlauf vieler Ehen kommen sexuale Traumen vor. Jene Krankengeschichten, von deren Publication wir absehen mussten, enthalten davon eine grosse Zahl, perverse Anforderungen des Mannes, unnatürliche Praktiken u. s. w. Ich glaube nicht zu übertreiben, [ 217 ] wenn ich behaupte, die grosse Mehrzahl der schweren Neurosen bei Frauen entstamme dem Ehebett. [21]

Ein Theil der sexualen Noxen, der wesentlich in ungenügender Befriedigung besteht, (coitus interruptus, ejaculatio praecox u. s. f.), führt nach der Entdeckung Freud’s [22] nicht zu Hysterie, sondern zur Angstneurose. Doch meine ich, wird auch in solchen Fällen häufig genug die Erregung des Sexualaffectes in hysterische somatische Phänomene convertirt.

Es ist selbstverständlich und geht auch aus unsern Beobachtungen zur Genüge hervor, dass die nicht sexualen Affecte des Schrecks, der Angst, des Zornes zur Entstehung hysterischer Phänomene führen. Aber es ist vielleicht nicht überflüssig, immer wieder zu betonen, dass das sexuale Moment weitaus das wichtigste und pathologisch fruchtbarste ist. Die naive Beobachtung unserer Vorgänger, deren Rest wir im Worte „Hysterie“ bewahren, ist der Wahrheit näher gekommen als die neuere Anschauung, welche die Sexualität fast in letzte Linie stellt, um die Kranken vor moralischem Vorwurfe zu bewahren. Gewiss sind die sexualen Bedürfnisse der Hysterischen gerade so individuell verschieden gross und nicht stärker als bei den Gesunden. Aber sie erkranken an ihnen und zwar grossentheils gerade durch ihre Bekämpfung, durch die Abwehr der Sexualität.

Neben der sexualen muss hier an die Schreckhysterie erinnert werden, die eigentlich traumatische Hysterie. Sie bildet eine der bestgekannten und anerkannten Hysterieformen.

Sozusagen in der gleichen Schicht mit den Phänomenen, welche durch Conversion von Affecterregung entstanden sind, liegen diejenigen, welche der Suggestion (meist Autosuggestion) bei originär suggestiblen Individuen ihren Ursprung verdanken. Hochgradige Suggestibilität, d. h. hemmungsloses Uebergewicht frisch erregter Vorstellungen gehört nicht zum Wesen der Hysterie; sie kann sich aber bei hysterisch Disponirten als Complication vorfinden, bei denen eben diese Eigenart des Nervensystems die körperliche Realisirung der überwertigen Vorstellungen [ 218 ] ermöglicht. Es sind übrigens meistens doch nur affective Vorstellungen, welche suggestiv in somatischen Phänomenen realisirt werden, und so kann man den Vorgang oft auch als Conversion des begleitenden Schreck- oder Angstaffects auffassen.

Diese Processe der Affectconversion und der Suggestion bleiben identisch auch in den complicirten Formen von Hysterie, die nun zu betrachten sind; sie finden dort nur günstigere Bedingungen; aber psychisch bedingte hysterische Phänomene entstehen immer durch einen dieser beiden Vorgänge.

 

 

Jenes dritte Constituens der hysterischen Disposition, welches in manchen Fällen zu den früher besprochenen hinzutritt, die Conversion wie die Suggestion in höchstem Maasse begünstigt und erleichtert und dadurch sozusagen über den kleinen Hysterien, die nur einzelne hysterische Phänomene zeigen, das weitere Stockwerk der grossen Hysterie aufbaut, ist das Hypnoid, die Neigung zur Autohypnose (pag. 187). Sie constituirt einen, zunächst nur vorübergehenden und mit dem normalen alternirenden Zustand, dem wir dieselbe Steigerung der psychischen Einwirkung auf den Körper zuschreiben dürfen, die wir in der artificiellen Hypnose beobachten; diese Einwirkung ist hier umso intensiver und tiefer greifend, als sie ein Nervensystem betrifft, welches schon ausserhalb der Hypnose von anomaler Erregbarkeit ist.[23] In wie weit und in welchen Fällen die Neigung zur Autohypnose originäre Eigenschaft des Organismus ist, wissen wir nicht. Ich habe oben (pag. 191), die Ansicht ansgesprochen, dass sie sich aus affecterfüllter Träumerei entwickle. Aber sicher gehört auch hiezu originäre Disposition. Wenn jene Ansicht richtig ist, so wird auch hier deutlich, wie grosser Einfluss auf die Entwicklung der Hysterie der Sexualität zuzuschreiben ist. Denn es gibt ausser der Krankenpflege keinen psychischen Factor, der so wie die Liebessehnsucht geeignet ist, affecterfüllte Träumerei zu erzeugen. Und überdies ist der sexuale Organismus [ 219 ] selbst mit seiner Fülle von Affect und der Einengung des Bewusstseins den hypnoiden Zuständen nahe verwandt.

Das Hypnoid tritt am deutlichsten in die Erscheinung als hysterischer Anfall, und in jenem Zustande, den man als acute Hysterie bezeichnen kann und der, wie es scheint, in der Entwicklung der grossen Hysterie eine so bedeutende Rolle spielt (pag. 207). Es sind dies lange, oft mehrere Monate dauernde, deutlich psychotische Zustände, die man oft geradezu als hallucinatorische Verworrenheit bezeichnen muss; auch wenn die Störung nicht so weit geht, treten in solchem Zustande mannigfache hysterische Phänomene auf, von denen einige auch weiterhin persistiren. Der psychische Inhalt dieser Zustände besteht zum Theil gerade aus den Vorstellungen, welche im wachen Leben abgewehrt und aus dem Bewusstsein verdrängt worden sind; („hysterische Delirien der Heiligen und Nonnen, der enthaltsamen Frauen, der wohlerzogenen Kinder.“)

Da diese Zustände so oft geradezu Psychosen sind und doch direct und ausschliesslich der Hysterie entstammen, kann ich mich der Meinung Möbius' nicht anschliessen: „man könne, – abgesehen von den mit dem Anfalle verknüpften Delirien, von einem eigentlichen hysterischen Irresein nicht reden“.[24] Diese Zustände sind in vielen Fällen ein solches; und auch im weitern Verlauf der Hysterie wiederholen sich solche Psychosen, die freilich im Wesen nichts anderes sind als das psychotische Stadium des Anfalles, aber bei monatelanger Dauer doch nicht wohl als Anfälle bezeichnet werden können.

Wie entstehen diese acuten Hysterien? In dem bestbekannten Falle (Beobachtung I) entwickelte sie sich aus der Häufung der Hypnoidattaquen; in einem anderen Falle (von schon bestehender, complicirter Hysterie) im Anschluss an eine Morphinentziehung. Meist ist der Vorgang ganz dunkel und harrt der Klärung durch weitere Beobachtungen.

Für diese, hier besprochenen Hysterien gilt also der Satz von Möbius: „die der Hysterie wesentliche Veränderung besteht darin, dass vorübergehend oder dauernd der geistige Zustand des Hysterischen dem des Hypnotisirten gleicht“ (a. a. O. pag. 16).

Das Fortdauern der im Hypnoid entstandenen hysterischen Symptome während des normalen Zustandes, entspricht vollständig unsern Erfahrungen über posthypnotische Suggestion. Damit ist aber auch schon gesagt, dass Complexe von bewusstseinsunfähigen Vorstellungen [ 220 ] mit den bewusst ablaufenden Ideenreihen coexistiren, dass die Spaltung der Psyche (pag. 200) vollzogen ist. Es scheint sicher, dass diese auch ohne Hypnoid entstehen kann, aus der Fülle der abgewehrten, aus dem Bewusstsein verdrängten, aber nicht unterdrückten Vorstellungen. Auf die eine und die andere Weise entsteht ein bald ideenarmes, rudimentäres, bald dem wachen Denken mehr minder gleiches Gebiet psychischen Lebens, dessen Erkenntniss wir vor Allen Binet und Janet verdanken. Die Spaltung der Psyche ist die Vollendung der Hysterie; es wurde früher (Cap. V) dargelegt, wie sie die wesentlichen Charakterzüge der Krankheit erklärt. Dauernd, aber mit wechselnder Lebhaftigkeit seiner Vorstellungen, befindet sich ein Theil der Psyche des Kranken im Hypnoid, immer bereit, beim Nachlassen des wachen Denkens die Herrschaft über den ganzen Menschen zu gewinnen (Anfall, Delirium). Das geschieht, sobald ein starker Affect den normalen Vorstellungsablauf stört, in Dämmer- und in Erschöpfungszuständen. Aus diesem persistirenden Hypnoid herauf dringen unmotivirte, der normalen Association fremde Vorstellungen in's Bewusstsein, werden Hallucinationen in das Wahrnehmen geworfen, werden motorische Acte unabhängig vom bewussten Willen innervirt. Diese hypnoide Psyche ist im höchsten Grade befähigt zur Affectconversion und Suggestion, und so entstehen mit Leichtigkeit neue hysterische Phänomene, welche ohne die psychische Spaltung nur sehr schwer und unter dem Druck wiederholter Affecte zu Stande gekommen wären. Die abgespaltene Psyche ist jener Dämon, von dem die naive Beobachtung alter, abergläubischer Zeiten die Kranken besessen glaubte. Dass ein dem wachen Bewusstsein des Kranken fremder Geist in ihm walte, ist richtig; nur ist es kein wirklich fremder, sondern ein Theil seines eigenen.

 

 

Der hier gewagte Versuch, aus unseren heutigen Kenntnissen die Hysterie synthetisch zu construiren, steht dem Vorwurf des Eclecticismus offen, wenn dieser überhaupt berechtigt ist. So viele Formulirungen der Hysterie, von der alten „Reflextheorie“ bis zur „Dissociation der Persönlichkeit“ haben darin Platz finden müssen. Aber es kann kaum anders sein. So zahlreiche treffliche Beobachter und scharfsinnige Köpfe haben sich um die Hysterie bemüht. Es ist unwahrscheinlich, dass nicht jede ihrer Formulirungen einen Theil der Wahrheit enthalte. Die künftige Darstellung des wirklichen Sachverhaltes wird gewiss sie alle enthalten und nur all’ die einseitigen [ 221 ] Ansichten des Gegenstandes zu einer körperhaften Realität combiniren. Der Eclecticismus scheint mir darum kein Tadel.

Aber wie weit von der Möglichkeit eines solchen vollständigen Verständnisses der Hysterie sind wir heute noch! Mit wie unsicheren Zügen sind hier die Contouren umrissen worden, mit wie plumpen Hilfsvorstellungen sind die klaffenden Lücken mehr verdeckt als ausgefüllt. Nur die eine Erwägung beruhigt einigermaassen: dass dieses Uebel allen physiologischen Darstellungen complicirter psychischer Vorgänge anhaftet und anhaften muss. Von ihnen gilt immer, was Theseus im Sommernachtstraum von der Tragödie sagt: „Auch das Beste dieser Art ist nur ein Schattenspiel“. Und auch das Schwächste ist nicht wertlos, wenn es sucht in Treue und Bescheidenheit die Schattenrisse festzuhalten, welche die unbekannten wirklichen Objecte auf die Wand werfen. Dann ist doch immer die Hoffnung berechtigt, dass irgend ein Maass von Uebereinstimmung und Aehnlichkeit zwischen den wirklichen Vorgängen und unserer Vorstellung davon bestehen werde.

Möbius, Über den Begriff der Hysterie. Wiederabgedruckt in „Neurologische Beiträge“, I. Heft, 1894.

↑ Dieser Perceptionsapparat, einschliesslich der corticalen Sinnessphären, muss verschieden sein von dem Organ, welches Sinneseindrücke als Erinnerungsbilder aufbewahrt und reproducirt. Denn die Grundbedingung der Function des Wahrnehmungsapparates ist die rascheste restitutio in statum quo ante; sonst könnte keine richtige weitere Perception stattfinden. Die Bedingung des Gedächtnisses hingegen ist, dass eine solche Restitution nicht statt hat, sondern dass jede Wahrnehmung bleibende Veränderungen schafft. Unmöglich kann ein und dasselbe Organ beiden widersprechenden Bedingungen genügen; der Spiegel eines Refiexions-Teleskops kann nicht zugleich photographische Platte sein. In diesem Sinne, dass die Erregung des Perceptionsapparates – nicht in der bestimmten Aussage, dass die Erregung der subcorticalen Centren – der Hallucination den Charakter des Objectiven gebe, stimme ich Meynert bei. Soll aber durch das Erinnerungsbild das Perceptionsorgan erregt werden, so müssen wir eine gegen die Norm abgeänderte Erregbarkeit desselben annehmen, die eben die Hallucination möglich macht.

Oppenheim’s „Labilität der Molecüle“. Vielleicht wird es später möglich sein, den obigen sehr vagen Ausdruck durch eine präcisere und inhaltsreichere Formel zu ersetzen.

↑ Es sei erlaubt, hier in Kürze die Vorstellung anzudeuten, welche der obigen Ausführung zu Grunde liegt. Wir denken uns gewöhnlich die sensiblen und sensorischen Nervenzellen als passive Aufnahmsapparate; mit Unrecht. Denn schon die Existenz des Associations-Fasersystems beweist, dass auch von ihnen aus Erregung in Nervenfasern strömt. In einer Nervenfaser, welche per continuitatem oder contiguitatem zwei sensorische Zellen verbindet, muss ein Spannungszustand bestehen, wenn von beiden Zellen aus Erregung in sie einströmt. Dieser verhält sich zu der in einer, z. B. peripheren, motorischen Faser abströmenden Erregung wie hydrostatischer Druck zu der lebendigen Kraft strömenden Wassers oder wie elektrische Spannung zum elektrischen Strom. Sind alle Nervenzellen in einem Zustande mittlerer Erregung und erregen ihre nervösen Fortsätze, so bildet das ganze ungeheure Netz ein einheitliches Reservoir von „Nervenspannung“. Wir hätten also ausser der potentiellen Energie, welche in dem chemischen Bestande der Zelle ruht und jener uns unbekannten Form kinetischer Energie, welche im Erregungszustande der Faser abläuft, noch einen ruhenden Zustand von Nervenerregung anzunehmen, die tonische Erregung oder Nervenspannung.

↑ Die Auffassung der Energie des Centralnervensystems als einer Quantität von schwankender und wechselnder Vertheilung über das Gehirn ist alt. „La sensibilité,“ sagte Cabanis, „semble se comporter à la manière d’un fluide dont la quantité totale est déterminée et qui, toutes les fois qu’il se jette en plus grande abondance dans un de ses canaux, diminue proportionellement dans les autres.“ (Cit. nach Janet, Etat mental II, p. 277.)

Lange, Über Gemütsbewegungen. 1887.

↑ Der Trieb der Rache, der beim Naturmenschen so mächtig ist und durch die Cultur mehr verkleidet als unterdrückt wird, ist überhaupt nichts als die Erregung eines nicht ausgelösten Reflexes. Eine Schädigung im Kampfe abzuwehren und dabei den Gegner zu schädigen, ist der adäquate, präformirte, psychische Reflex. Ist er nicht oder ungenügend vollzogen worden, so wird er durch die [ 180 ] Erinnerung immer wieder ausgelöst, und es entsteht der „Rachetrieb“ als irrationaler Willensimpuls wie alle „Triebe“. Beweis hiefür ist eben seine Irrationalität, seine Unabhängigkeit von allem Nutzen und aller Zweckmässigkeit; ja sein Sieg über alle Rücksichten der eigenen Sicherheit. Sobald der Reflex ausgelöst worden ist, kann diese Irrationalität in’s Bewusstsein treten.

„Ein anderes Antlitz, bevor sie geschehen,
Ein anderes trägt die vollbrachte That.“

↑ Ich möchte den Vergleich mit einer elektrischen Anlage nicht zu Tode hetzen; bei der fundamentalen Verschiedenartigkeit der Verhältnisse kann er ja die Vorgänge im Nervensystem kaum illustriren und gewiss nicht erklären. Aber hier mag noch an den Fall erinnert werden, dass durch hohe Spannung die Isolation der Leitung einer Beleuchtungsanlage gelitten habe und an einer Stelle ein „kurzer Schluss“ hergestellt sei. Treten nun an dieser Stelle elektrische Phänomene auf (Erwärmung, z. B. kurze Funken o. dgl.), so leuchtet die Lampe nicht, zu welcher die Leitung führt; wie der Affect nicht entsteht, wenn die Erregung als abnormer Reflex abströmt, in ein somatisches Phänomen convertirt wird.

↑ Vgl. für diesen Punkt einige interessante Mittheilungen und Bemerkungen Benedikt's (1889), wiederabgedruckt in der Schrift „Hypnotismus und Suggestion“ 1894 (p. 51 u. ff.)

↑ Ich finde in Mach's „Bewegungsempfindungen“ eine Bemerkung, an welche hier wohl erinnert werden darf:
„Es hat sich bei den beschriebenen (Schwindel-) Versuchen wiederholt gezeigt, dass ein Ekelgefühl sich hauptsächlich dann einstellte, wenn es schwer war, die Bewegungsempfindungen mit den optischen Eindrücken in Einklang zu bringen. Es sah so aus, als ob ein Theil des vom Labyrinth ausgehenden Reizes gezwungen worden wäre, die optischen Bahnen, die ihm durch einen andern Reiz verschlossen waren, zu verlassen und ganz andere Bahnen einzuschlagen.... Auch beim Versuch, Stereoskopbilder mit starken Differenzen zu combiniren, habe ich wiederholt ein Ekelgefühl beobachtet.“
Das ist geradezu das physiologische Schema für die Entstehung pathologischer, hysterischer Phänomene durch die Coexistenz lebhafter, unvereinbarer Vorstellungen.

↑ Ich verdanke diesen Fall Herrn Assistenten Dr. Paul Karplus.

↑ Wenn hier und später von Vorstellungen die Rede ist, die actuell, wirksam und doch unbewusst sind, so handelt es sich dabei nur selten um einzelne Vorstellungen (wie etwa die hallucinirte grosse Schlange Anna O.'s, welche die Contractur auslöst); fast immer um Vorstellungscomplexe, um Verbindungen, um Erinnerungen an äussere Vorgänge und eigene Gedankengänge. Die in solchen Vorstellungscomplexen enthaltenen Einzelvorstellungen werden gelegentlich alle bewusst gedacht. Nur die bestimmte Combination ist aus dem Bewusstsein verbannt.

Möbius, Ueber Astasie-Abasie, Neurol. Beiträge I. Heft, p. 17.

↑ Vielleicht meint M. mit dieser Bezeichnung nichts anderes als die Hemmung des Vorstellungsablaufes, welche beim Affect allerdings besteht, wenn auch aus durchaus ändern Ursachen entspringend als bei der Hypnose.

↑ Beobachtung I und II.

↑ Der Ausdruck ist nicht eindeutig und lässt darum sehr zu wünschen übrig; aber nach der Analogie von „hoffähig“ gebildet, mag er in Ermanglung eines besseren unterdessen gebraucht werden.

↑ Ich muss aber bemerken, dass gerade in dem bestbekannten und durchsichtigsten Fall grosser Hysterie mit manifester double conscience, eben bei Anna O. (Beobachtung I), kein Rest aus dem acuten Stadium in das chronische hinübergetragen wurde und alle Phänomene des letzteren schon in der „Incubationszeit“ in Hypnoiden und Affectzuständen erzeugt worden waren.

Oppenheim's „Labilität der Molecüle“.

↑ Jene Disposition ist eben das, was Strümpell als „die Störung im Psycho-Physischen“ bezeichnet, welche der Hysterie zu Grunde liegt.

↑ Einige Beobachtungen lassen uns glauben, dass die Berührungs-, eigentlich Beschmutzungsfurcht, welche die Frauen zwingt, sich alle Augenblicke die Hände zu waschen, sehr häufig diesen Ursprung hat. Das Waschen entspringt demselben seelischen Vorgang wie bei Lady Macbeth.

↑ Es ist gewiss von Uebel, dass die Klinik dieses, eines der allerwichtigsten pathogenen Momente ignorirt, oder doch nur zart andeutend streift. Diess ist sicher ein Gegenstand, wo die Erfahrung der Erfahrenen dem jungen Arzte mitgetheilt werden soll, der ja gewöhnlich an der Sexualität blind vorübergeht; mindestens was seine Kranken betrifft.

Freud, „Ueber die Berechtigung, von der Neurasthenie einen bestimmten Symptomencomplex als Angstneurose abzutrennen“. Neurol. Centralblatt 1895, Nr. 2.

↑ Es liegt nahe, die Disposition zur Hypnose mit der originären abnormen Erregbarkeit zu identificiren, da uns ja auch die arteficielle Hypnose ideogene Veränderungen der Secretion, der localen Blutfülle, Blasenbildungen u. dgl. zeigt. Diess scheint die Ansicht von Möbius zu sein. Ich meine aber, man bewegt sich da in einem falschen Cirkel. Diese Thaumaturgie der Hypnose beobachten wir, so viel ich sehe, doch nur bei Hysterischen. Wir würden also der Hypnose die Leistungen der Hysterie zuschreiben, und dann wieder diese aus der Hypnose ableiten.

Möbius: Gegenwärtige Auffassung der Hysterie. Monatsschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie, 1895, I. Bd., p. 18.

IV. Zur Psychotherapie der Hysterie.

(Sigm. Freud.)

Wir haben in der „Vorläufigen Mittheilung“ berichtet, dass sich uns während der Forschung nach der Aetiologie hysterischer Symptome auch eine therapeutische Methode ergeben hat, die wir für praktisch bedeutsam halten. „ Wir fanden nämlich, anfangs zu unserer grössten Ueberraschung, dass die einzelnen hysterischen Symptome sogleich und ohne Wiederkehr verschwanden, wenn es gelungen war, die Erinnerung an den veranlassenden Vorgang zu voller Helligkeit zu erwecken, damit auch den begleitenden Affect wachzurufen, und wenn dann der Kranke den Vorgang in möglichst ausführlicher Weise schilderte und dem Affect Worte gab “ (p. 4.).

Wir suchten uns ferner verständlich zu machen, auf welche Weise unsere psychotherapeutische Methode wirke: „ Sie hebt die Wirksamkeit der ursprünglich nicht abreagirten Vorstellung dadurch auf, dass sie dem eingeklemmten Affect derselben den Ablauf durch die Rede gestattet und bringt sie zur associativen Correctur, indem sie dieselbe in’s normale Bewusstsein zieht (in leichterer Hypnose) oder durch ärztliche Suggestion aufhebt, wie es im Somnambulismus mit Amnesie geschieht “ (pag. 13).

Ich will nun versuchen, im Zusammenhange darzuthun, wie weit diese Methode trägt, um was sie mehr als andere leistet, mit welcher Technik und mit welchen Schwierigkeiten sie arbeitet, wenngleich das Wesentliche hierüber bereits in den voranstehenden Krankengeschichten enthalten ist, und ich es nicht vermeiden kann, mich in dieser Darstellung zu wiederholen.

I.

Ich darf auch für meinen Theil sagen, dass ich am Inhalte der „Vorläufigen Mittheilung“ festhalten kann; jedoch muss ich eingestehen, dass sich mir in den seither verflossenen Jahren – bei unausgesetzter Beschäftigung mit den dort berührten Problemen – neue Gesichtspunkte [ 223 ] aufgedrängt haben, die eine wenigstens zum Theil andersartige Gruppirung und Auffassung des damals bekannten Materiales an Thatsachen zur Folge hatten. Es wäre unrecht, wenn ich versuchen wollte, meinem verehrten Freunde J. Breuer zuviel von der Verantwortlichkeit für diese Entwicklung aufzubürden. Die folgenden Ausführungen bringe ich daher vorwiegend im eigenen Namen.

Als ich versuchte, die Breuer ’sche Methode der Heilung hysterischer Symptome durch Ausforschung und Abreagiren in der Hypnose an einer grösseren Reihe von Kranken zu verwenden, stiessen mir zwei Schwierigkeiten auf, in deren Verfolgung ich zu einer Abänderung der Technik wie der Auffassung gelangte. 1. Es waren nicht alle Personen hypnotisirbar, die unzweifelhaft hysterische Symptome zeigten, und bei denen höchst wahrscheinlich derselbe psychische Mechanismus obwaltete; 2. ich musste Stellung zu der Frage nehmen, was denn wesentlich die Hysterie charakterisirt, und wodurch sich dieselbe gegen andere Neurosen abgrenzt.

Ich verschiebe es auf später, mitzutheilen, wie ich die erstere Schwierigkeit bewältigt, und was ich aus ihr gelernt habe. Ich gehe zunächst darauf ein, wie ich in der täglichen Praxis gegen das zweite Problem Stellung nahm. Es ist sehr schwierig, einen Fall von Neurose richtig zu durchschauen, ehe man ihn einer gründlichen Analyse unterzogen hat; einer Analyse, wie sie eben nur bei Anwendung der Breuer ’schen Methode resultirt. Die Entscheidung über Diagnose und Art der Therapie muss aber vor einer solchen gründlichen Kenntniss gefällt werden. Es blieb mir also nichts übrig, als solche Fälle für die kathartische Methode auszuwählen, die man vorläufig als Hysterie diagnosticiren konnte, die einzelne oder mehrere von den Stigmen oder charakteristischen Symptomen der Hysterie erkennen liessen. Dann ereignete es sich manchmal, dass die therapeutischen Ergebnisse trotz der Hysteriediagnose recht armselig ausfielen, dass selbst die Analyse nichts Bedeutsames zu Tage förderte. Anderemale versuchte ich Neurosen mit der Breuer ’schen Methode zu behandeln, die gewiss niemandem als Hysterie imponirt hätten, und ich fand, dass sie auf diese Weise zu beeinflussen, ja selbst zu lösen waren. So ging es mir z. B. mit den Zwangsvorstellungen, den echten Zwangsvorstellungen nach Westphal ’schem Muster, in Fällen, die nicht durch einen Zug an Hysterie erinnerten. Somit konnte der psychische Mechanismus, den die vorläufige Mittheilung aufgedeckt hatte, nicht für Hysterie pathognomonisch sein; ich konnte mich auch nicht entschliessen, [ 224 ] diesem Mechanismus zu Liebe etwa soviel andere Neurosen in einen Topf mit der Hysterie zu werfen. Aus all’ den angeregten Zweifeln riss mich endlich der Plan, alle anderen in Frage kommenden Neurosen ähnlich wie die Hysterie zu behandeln, überall nach der Aetiologie und nach der Art des psychischen Mechanismus zu forschen, und die Entscheidung über die Berechtigung der Hysteriediagnose von dem Ausfall dieser Untersuchung abhängen zu lassen.

So gelangte ich, von der Breuer ’schen Methode ausgehend, dazu, mich mit der Aetiologie und dem Mechanismus der Neurosen überhaupt zu beschäftigen. Ich hatte dann das Glück, in verhältnissmässig kurzer Zeit bei brauchbaren Ergebnissen anzukommen. Es drängte sich mir zunächst die Erkenntniss auf, dass, insofern man von einer Verursachung sprechen könne, durch welche Neurosen erworben würden, die Aetiologie in sexuellen Momenten zu suchen sei. Daran reihte sich der Befund, dass verschiedene sexuelle Momente, ganz allgemein genommen, auch verschiedene Bilder von neurotischen Erkrankungen erzeugen. Und nun konnte man, in dem Maass, als sich das letztere Verhältniss bestätigte, auch wagen, die Aetiologie zur Charakteristik der Neurosen zu verwerthen und eine scharfe Scheidung der Krankheitsbilder der Neurosen aufzustellen. Trafen ätiologische Charaktere mit klinischen constant zusammen, so war diess ja gerechtfertigt.

Auf diese Weise ergab sich mir, dass der Neurasthenie eigentlich ein monotones Krankheitsbild entspreche, in welchem, wie Analysen zeigten, ein „psychischer Mechanismus“ keine Rolle spiele. Von der Neurasthenie trennte sich scharf ab die Zwangsneurose, die Neurose der echten Zwangsvorstellungen, für die sich ein complicirter psychischer Mechanismus, eine der hysterischen ähnliche Aetiologie und eine weitreichende Möglichkeit der Rückbildung durch Psychotherapie erkennen liessen. Andererseits schien es mir unbedenklich geboten, von der Neurasthenie einen neurotischen Symptomcomplex abzusondern, der von einer ganz abweichenden, ja, im Grunde genommen, gegensätzlichen Aetiologie abhängt, während die Theilsymptome dieses Complexes durch einen schon von E. Hecker [1] erkannten Charakter zusammengehalten werden. Sie sind nämlich entweder Symptome oder Aequivalente und Rudimente von Angstäusserungen, und ich habe darum diesen von der Neurasthenie abzutrennenden Complex Angstneurose geheissen. Ich habe von ihm behauptet, er käme durch die Anhäufung physischer Spannung zu Stande, die selbst wieder sexualer [ 225 ] Herkunft ist; diese Neurose hat auch noch keinen psychischen Mechanismus, beeinflusst aber ganz regelmässig das psychische Leben, so dass „ängstliche Erwartung“, Phobien, Hyperästhesie gegen Schmerzen u. a. zu ihren regelmässigen Aeusserungen gehören. Diese Angstneurose in meinem Sinne deckt sich gewiss theilweise mit der Neurose, die unter dem Namen „Hypochondrie“ in so manchen Darstellungen neben Hysterie und Neurasthenie anerkannnt wird; nur dass ich in keiner der vorliegenden Bearbeitungen die Abgrenzung dieser Neurose für die richtige halten kann, und dass ich die Brauchbarkeit des Namens Hypochondrie durch dessen feste Beziehung auf das Symptom der „Krankheitsfurcht“ beeinträchtigt finde.

Nachdem ich mir so die einfachen Bilder der Neurasthenie, der Angstneurose und der Zwangsvorstellungen fixirt hatte, ging ich an die Auffassung der gemeinhin vorkommenden Fälle von Neurosen heran, die bei der Diagnose Hysterie in Betracht kommen. Ich musste mir jetzt sagen, dass es nicht angeht, eine Neurose im Ganzen zur hysterischen zu stempeln, weil aus ihrem Symptomencomplex einige hysterische Zeichen hervorleuchten. Ich konnte mir diese Uebung sehr wohl erklären, da doch die Hysterie die älteste, die bestbekannte und die auffälligste der in Betracht kommenden Neurosen ist; aber es war doch ein Missbrauch, derselbe, der auf die Rechnung der Hysterie so viele Züge von Perversion und Degeneration hatte setzen lassen. So oft in einem complicirten Fall von psychischer Entartung ein hysterisches Anzeichen, eine Anästhesie, eine charakteristische Attaque zu entdecken war, hatte man das Ganze „Hysterie“ genannt und konnte dann freilich das Aergste und das Widersprechendste unter dieser Etiquette vereinigt finden. So gewiss diese Diagnostik unrecht war, so gewiss durfte man auch nach der neurotischen Seite hin sondern, und da man Neurasthenie, Angstneurose u. dgl. im reinen Zustande kannte, brauchte man sie in der Combination nicht mehr zu übersehen.

Es schien also folgende Auffassung die berechtigtere: Die gewöhnlich vorkommenden Neurosen sind meist als „gemischte“ zu bezeichnen; von der Neurasthenie und der Angstneurose findet man ohne Mühe auch reine Formen, am ehesten bei jugendlichen Personen. Von Hysterie und Zwangsneurose sind reine Fälle selten, für gewöhnlich sind diese beiden Neurosen mit einer Angstneurose combinirt. Dies so häufige Vorkommen von gemischten Neurosen rührt daher, dass deren ätiologische Momente sich so häufig vermengen, bald nur zufälliger Weise, bald in Folge von causalen Beziehungen zwischen den Vorgängen, [ 226 ] aus denen die ätiologischen Momente der Neurosen fliessen. Diess lässt sich unschwer im Einzelnen durchführen und erweisen; für die Hysterie folgt aber hieraus, dass es kaum möglich ist, sie für die Betrachtung aus dem Zusammenhange der Sexualneurosen zu reissen; dass sie in der Regel nur eine Seite, einen Aspect des complicirten neurotischen Falles darstellt, und dass sie nur gleichsam im Grenzfall als isolirte Neurose gefunden werden und behandelt werden kann. Man darf etwa in einer Reihe von Fällen sagen: a potiori fit denominatio.

Ich will die hier mitgetheilten Krankengeschichten daraufhin prüfen, ob sie meiner Auffassung von der klinischen Unselbständigkeit der Hysterie das Wort reden. Anna O., die Kranke Breuer's, scheint dem zu widersprechen und eine rein hysterische Erkrankung zu erläutern. Allein dieser Fall, der so fruchtbar für die Erkenntniss der Hysterie geworden ist, wurde von seinem Beobachter gar nicht unter den Gesichtspunkt der Sexualneurose gebracht und ist heute einfach für diesen nicht zu verwerthen. Als ich die zweite Kranke, Frau Emmy v. N., zu analysiren begann, lag mir die Erwartung einer Sexualneurose als Boden für die Hysterie ziemlich ferne; ich war frisch aus der Schule Charcot's gekommen und betrachtete die Verknüpfung einer Hysterie mit dem Thema der Sexualität als eine Art von Schimpf – ähnlich wie die Patientinnen selbst es pflegen. Wenn ich heute meine Notizen über diesen Fall überblicke, ist es mir ganz unzweifelhaft, dass ich einen Fall einer schweren Angstneurose mit ängstlicher Erwartung und Phobien anerkennen muss, die aus der sexuellen Abstinenz stammte und sich mit Hysterie combinirt hatte.

Fall III, der Fall der Miss Lucy R., ist vielleicht am ehesten ein Grenzfall von reiner Hysterie zu nennen, es ist eine kurze, episodisch verlaufende Hysterie bei unverkennbar sexueller Aetiologie, wie sie einer Angstneurose entsprechen würde; ein überreifes, liebebedürftiges Mädchen, dessen Neigung zu rasch durch ein Missverständniss erweckt wird. Allein die Angstneurose war nicht nachzuweisen oder ist mir entgangen. Fall IV, Katharina, ist geradezu ein Vorbild dessen, was ich virginale Angst genannt habe; es ist eine Combination von Angstneurose und Hysterie; die erstere schafft die Symptome, die letztere wiederholt sie und arbeitet mit ihnen. Uebrigens ein typischer Fall für soviele, „Hysterie“ genannte, jugendliche Neurosen. Fall V, der des Frl. Elisabeth v. R., ist wiederum nicht als Sexualneurose erforscht; einen Verdacht, dass eine Spinalneurasthenie die Grundlage gebildet habe, konnte ich nur äussern und nicht bestätigen. Ich muss aber [ 227 ] hinzufügen, seither sind die reinen Hysterien in meiner Erfahrung noch seltener geworden; wenn ich diese vier Fälle als Hysterie zusammenstellen und bei ihrer Erörterung von den für Sexualneurosen maassgebenden Gesichtspunkten absehen konnte, so liegt der Grund darin, dass es ältere Fälle sind, bei denen ich die absichtliche und dringende Forschung nach der neurotischen sexualen Unterlage noch nicht durchgeführt hatte. Und wenn ich anstatt dieser vier Fälle nicht zwölf mitgetheilt habe, aus deren Analyse eine Bestätigung des von uns behaupteten psychischen Mechanismus hysterischer Phänomene zu gewinnen ist, so nöthigte mich zur Enthaltung nur der Umstand, dass die Analyse diese Krankheitsfälle gleichzeitig als Sexualneurosen enthüllte, obwohl ihnen den „Namen“ Hysterie gewiss kein Diagnostiker verweigert hätte. Die Aufklärung solcher Sexualneurosen überschreitet aber den Rahmen dieser unserer gemeinsamen Veröffentlichung.

Ich möchte nicht dahin missverstanden werden, als ob ich die Hysterie nicht als selbständige neurotische Affection gelten lassen wollte, als erfasste ich sie bloss als psychische Aeusserung der Angstneurose, als schriebe ich ihr bloss „ideogene“ Symptome zu und zöge die somatischen Symptome (hysterogene Punkte, Anästhesien) zur Angstneurose hinüber. Nichts von alledem; ich meine, man kann in jeder Hinsicht die von allen Beimengungen gereinigte Hysterie selbständig abhandeln, nur nicht in Hinsicht der Therapie. Denn bei der Therapie handelt es sich um praktische Ziele, um die Beseitigung des gesammten leidenden Zustandes, und wenn die Hysterie zumeist als Componente einer gemischten Neurose vorkommt, so liegt der Fall wohl ähnlich wie bei den Mischinfectionen, wo die Erhaltung des Lebens sich als Aufgabe stellt, die nicht mit der Bekämpfung der Wirkung des einen Krankheitserregers zusammenfällt.

Es ist mir darum so wichtig, den Antheil der Hysterie an den Bildern der gemischten Neurosen von dem der Neurasthenie, Angstneurose u. s. w. zu sondern, weil ich nach dieser Trennung einen knappen Ausdruck für den therapeutischen Werth der kathartischen Methode geben kann. Ich möchte mich nämlich der Behauptung getrauen, dass sie – principiell – sehr wohl im Stande ist, jedes beliebige hysterische Symptom zu beseitigen, während sie, wie leicht ersichtlich, völlig machtlos ist gegen Phänomene der Neurasthenie und nur selten und auf Umwegen die psychischen Folgen der Angstneurose beeinflusst. Ihre therapeutische Wirksamkeit wird also im einzelnen Falle davon abhängen, ob die hysterische Componente des Krankheitsbildes [ 228 ] eine praktisch bedeutsame Stellung im Vergleich zu den anderen neurotischen Componenten beanspruchen darf oder nicht.

Auch eine zweite Schranke ist der Wirksamkeit der kathartischen Methode gesetzt, auf welche wir bereits in der „Vorläufigen Mittheilung“ hingewiesen haben. Sie beeinflusst nicht die causalen Bedingungen der Hysterie, kann also nicht verhindern, dass an der Stelle der beseitigten Symptome neue entstehen. Im Ganzen also muss ich für unsere therapeutische Methode einen hervorragenden Platz innerhalb des Rahmens einer Therapie der Neurosen beanspruchen, möchte aber davon abrathen, sie ausserhalb dieses Zusammenhanges zu würdigen oder in Anwendung zu ziehen. Da ich an dieser Stelle eine „Therapie der Neurosen“, wie sie dem ausübenden Arzte vonnöthen wäre, nicht geben kann, stellen sich die vorstehenden Aeusserungen einer aufschiebenden Verweisung auf etwaige spätere Mittheilungen gleich; doch meine ich zur Ausführung und Erläuterung noch folgende Bemerkungen anschliessen zu können:

1. Ich behaupte nicht, dass ich sämmtliche hysterische Symptome, die ich mit der kathartischen Methode zu beeinflussen übernahm, auch wirklich beseitigt habe. Aber ich meine, die Hindernisse lagen an persönlichen Umständen der Fälle und waren nicht principieller Natur. Ich darf diese Fälle von Missglücken bei einer Urtheilsfällung ausser Betracht lassen, wie der Chirurg Fälle von Tod in der Narkose, durch Nachblutung, zufällige Sepsis u. dgl. bei der Entscheidung über eine neue Technik bei Seite schiebt. Wenn ich später von den Schwierigkeiten und Uebelständen des Verfahrens handeln werde, sollen die Misserfolge solcher Herkunft nochmals gewürdigt werden.

2. Die kathartische Methode wird darum nicht werthlos, weil sie eine symptomatische und keine causale ist. Denn eine causale Therapie ist eigentlich zumeist nur eine prophylaktische, sie sistirt die weitere Einwirkung der Schädlichkeit, beseitigt aber damit nicht nothwendig, was die Schädlichkeit bisher an Producten ergeben hat. Es bedarf in der Regel noch einer zweiten Action, welche die letztere Aufgabe löst, und für diesen Zweck ist im Falle der Hysterie die kathartische Methode geradezu unübertrefflich brauchbar.

3. Wo eine Periode hysterischer Production, ein acuter hysterischer Paroxysmus, überwunden ist und nur noch die hysterischen Symptome als Resterscheinungen erübrigen, da genügt die kathartische Methode allen Indicationen und erzielt volle und dauernde Erfolge. Eine solche günstige Constellation für die Therapie ergibt sich nicht [ 229 ] selten gerade auf dem Gebiete des Geschlechtslebens, infolge der grossen Schwankungen in der Intensität des sexuellen Bedürfnisses und der Complication der für ein sexuelles Trauma erforderten Bedingungen. Hier leistet die kathartische Methode alles, was man ihr zur Aufgabe stellen kann, denn der Arzt kann sich nicht vorsetzen wollen, eine Constitution wie die hysterische zu ändern; er muss sich damit bescheiden, wenn er das Leiden beseitigt, zu dem eine solche Constitution geneigt ist, und das unter Mithilfe äusserer Bedingungen aus ihr entspringen kann. Er wird zufrieden sein, wenn die Kranke wieder leistungsfähig geworden ist. Uebrigens entbehrt er auch eines Trostes für die Zukunft nicht, wenn er die Möglichkeit der Recidive in Betracht zieht. Er kennt den Hauptcharakter in der Aetiologie der Neurosen, dass deren Entstehung zumeist überdeterminirt ist, dass mehrere Momente zu dieser Wirkung zusammentreten müssen; er darf hoffen, dass dieses Zusammentreffen nicht sobald wieder statthaben wird, wenn auch einzelne der ätiologischen Momente in Wirksamkeit geblieben sind.

Man könnte einwenden, dass in solchen abgelaufenen Fällen von Hysterie die restirenden Symptome ohnediess spontan vergehen; allein hierauf darf man antworten, dass solche Spontanheilung sehr häufig weder rasch noch vollständig genug abläuft, und dass sie durch das Eingreifen der Therapie ausserordentlich gefördert werden kann. Ob man mit der kathartischen Therapie nur das heilt, was der Spontanheilung fähig ist, oder gelegentlich auch anderes, was sich spontan nicht gelöst hätte, das darf man für jetzt gerne ungeschlichtet lassen.

4. Wo man auf eine acute Hysterie gestossen ist, einen Fall in der Periode lebhaftester Production von hysterischen Symptomen und consecutiver Ueberwältigung des Ich durch die Krankheitsproducte (hysterische Psychose), da wird auch die kathartische Methode am Eindruck und Verlauf des Krankheitsfalles wenig ändern. Man befindet sich dann wohl in derselben Stellung gegen die Neurose, welche der Arzt gegen eine acute Infectionskrankheit einnimmt. Die ätiologischen Momente haben zu einer verflossenen, jetzt der Beeinflussung entzogenen Zeit ihre Wirkung im genügenden Ausmaasse geübt, nun werden dieselben nach Ueberwindung des Incubationsintervalles manifest; die Affection lässt sich nicht abbrechen; man muss ihren Ablauf abwarten und unterdess die günstigsten Bedingungen für den Kranken herstellen. Beseitigt man nun während einer solchen acuten Periode die Krankheitsproducte, die neu entstandenen hysterischen Symptome, so darf [ 230 ] man sich darauf gefasst machen, dass die beseitigten alsbald durch neue ersetzt werden. Der verstimmende Eindruck einer Danaidenarbeit, einer „Mohrenwäsche“ wird dem Arzt nicht erspart bleiben, der riesige Aufwand von Mühe, die Unbefriedigung der Angehörigen, denen die Vorstellung der notwendigen Zeitdauer einer acuten Neurose kaum so vertraut sein wird wie im analogen Falle einer acuten Infectionskrankheit, diess und anderes wird wahrscheinlich die consequente Anwendung der kathartischen Methode im angenommenen Falle meist unmöglich machen. Doch bleibt es sehr in Erwägung zu ziehen, ob nicht auch bei einer acuten Hysterie die jedesmalige Beseitigung der Krankheitsproducte einen heilenden Einfluss übt, indem sie das mit der Abwehr beschäftigte normale Ich des Kranken unterstützt und es vor der Ueberwältigung, vor dem Verfall in Psychose, vielleicht in endgiltige Verworrenheit bewahrt.

Was die kathartische Methode auch bei acuter Hysterie zu leisten vermag, und dass sie selbst die Neuproduction an krankhaften Symptomen in praktisch bemerkbarer Weise einschränkt, das erhellt wohl unzweifelhaft aus der Geschichte der Anna O..., an welcher Breuer diess psychotherapeutische Verfahren zuerst ausüben lernte.

5. Wo es sich um chronisch verlaufende Hysterien mit mässiger, aber unausgesetzter Production von hysterischen Symptomen handelt, da lernt man wohl den Mangel einer causal wirksamen Therapie am stärksten bedauern, aber auch die Bedeutung des kathartischen Verfahrens als symptomatische Therapie am meisten schätzen. Dann hat man es mit der Schädigung durch eine chronisch fortwirkende Aetiologie zu thun: es kommt alles darauf an, das Nervensystem des Kranken in seiner Resistenzfähigkeit zu kräftigen, und man muss sich sagen, die Existenz eines hysterischen Symptoms bedeute für dieses Nervensystem eine Schwächung seiner Resistenz und stelle ein zur Hysterie disponirendes Moment dar. Wie aus dem Mechanismus der monosymptomatischen Hysterie hervorgeht, bildet sich ein neues hysterisches Symptom am leichtesten im Anschluss und nach Analogie eines bereits vorhandenen; die Stelle, wo es bereits einmal „durchgeschlagen“ hat (vgl. p. 177), stellt einen schwachen Punkt dar, an welchem es auch das nächste Mal durchschlagen wird; die einmal abgespaltene psychische Gruppe spielt die Rolle des provocirenden Krystalls, von dem mit grosser Leichtigkeit eine sonst unterbliebene Krystallisation ausgeht. Die bereits vorhandenen Symptome beseitigen, die ihnen zu Grunde liegenden psychischen Veränderungen [ 231 ] aufheben, heisst den Kranken das volle Maass ihrer Resistenzfähigkeit wiedergeben, mit dem sie erfolgreich der Einwirkung der Schädlichkeit widerstehen können. Man kann solchen Kranken durch länger fortgesetzte Ueberwachung und zeitweiliges „chimney sweeping“ (vgl. p. 23) sehr viel leisten.

6. Ich hätte noch des scheinbaren Widerspruches zu gedenken, der sich zwischen dem Zugeständniss, dass nicht alle hysterischen Symptome psychogen seien, und der Behauptung, dass man sie alle durch ein psychotherapeutisches Verfahren beseitigen könne, erhebt. Die Lösung liegt darin, dass ein Theil dieser nicht psychogenen Symptome zwar Krankheitszeichen darstellt, aber nicht als Leiden bezeichnet werden darf, so die Stigmata; es macht sich also praktisch nicht bemerkbar, wenn sie die therapeutische Erledigung des Krankheitsfalles überdauern. Für andere solche Symptome scheint zu gelten, dass sie auf irgend einem Umweg von den psychogenen Symptomen mitgerissen werden, wie sie ja wohl auch auf irgend einem Umweg doch von psychischer Verursachung abhängen.

 

 

Ich habe nun der Schwierigkeiten und Uebelstände unseres therapeutischen Verfahrens zu gedenken, soweit diese nicht aus den vorstehenden Krankengeschichten oder aus den folgenden Bemerkungen über die Technik der Methode jedermann einleuchten können. – Ich will mehr aufzählen und andeuten als ausführen: Das Verfahren ist mühselig und zeitraubend für den Arzt, es setzt ein grosses Interesse für psychologische Vorkomnisse und doch auch persönliche Theilnahme für den Kranken bei ihm voraus. Ich könnte mir nicht vorstellen, dass ich es zu Stande brächte, mich in den psychischen Mechanismus einer Hysterie bei einer Person zu vertiefen, die mir gemein und widerwärtig vorkäme, die nicht bei näherer Bekanntschaft im Stande wäre, menschliche Sympathie zu erwecken, während ich doch die Behandlung eines Tabikers oder Rheumatikers unabhängig von solchem persönlichen Wohlgefallen halten kann. Nicht mindere Bedingungen werden von Seiten der Kranken erfordert. Unterhalb eines gewissen Niveaus von Intelligenz ist das Verfahren überhaupt nicht anwendbar, durch jede Beimengung von Schwachsinn wird es ausserordentlich erschwert. Man braucht die volle Einwilligung, die volle Aufmerksamkeit der Kranken, vor allem aber ihr Zutrauen, da die Analyse regelmässig auf die intimsten und geheimst gehaltenen psychischen Vorgänge führt. Ein guter Theil der Kranken, die für solche Behandlung geeignet wären, entzieht sich dem Arzte, sobald ihnen die Ahnung aufdämmert, [ 232 ] nach welcher Richtung sich dessen Forschung bewegen wird. Für diese ist der Arzt ein Fremder geblieben. Bei Anderen, die sich entschlossen haben, sich dem Arzte zu überliefern und ihm ein Vertrauen einzuräumen, wie es sonst nur freiwillig gewährt, aber nie gefordert wird, bei diesen Anderen, sage ich, ist es kaum zu vermeiden, dass nicht die persönliche Beziehung zum Arzte sich wenigstens eine Zeit lang ungebührlich in den Vordergrund drängt; ja es scheint, als ob eine solche Einwirkung des Arztes die Bedingung sei, unter welcher die Lösung des Problems allein gestattet ist. Ich meine nicht, dass es an diesem Sachverhalt etwas Wesentliches ändert, ob man sich der Hypnose bedienen konnte oder dieselbe umgehen und ersetzen musste. Nur fordert die Billigkeit, hervorzuheben, dass diese Uebelstände, obwohl unzertrennlich von unserem Verfahren, doch nicht diesem zur Last gelegt werden können. Es ist vielmehr recht einsichtlich, dass sie in den Vorbedingungen der Neurosen, die geheilt werden sollen, begründet sind, und dass sie sich an jede ärztliche Thätigkeit heften werden, die mit einer intensiven Bekümmerung um den Kranken einhergeht und eine psychische Veränderung in ihm herbeiführt. Auf die Anwendung der Hypnose konnte ich keinen Schaden und keine Gefahr zurückführen, so ausgiebigen Gebrauch ich auch in einzelnen Fällen von diesem Mittel machte. Wo ich Schaden angestiftet habe, lagen die







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