Rudi rannte.
Zu keinem Zeitpunkt schaute er zurück. Wie ein Gummiband baute er seine Führung auf, bis jeder Gedanke an einen möglichen anderen Sieger in sich zusammenfiel. Er flog über die Bahn, während sich hinter ihm die drei anderen Läufer der ehemaligen Spitzengruppe um den zweiten Platz stritten. Auf der Zielgeraden war nur noch blondes Haar und viel Abstand zu sehen, und als er über die Ziellinie lief, blieb er nicht stehen. Er riss nicht die Arme in die Höhe, sank nicht vor Erleichterung zusammen. Er lief noch zwanzig Meter weiter und schaute erst dann über die Schulter zurück, um mit anzusehen, wie die anderen ins Ziel kamen. Auf dem Weg zu seiner Familie begegnete er zuerst seinen Anführern und dann Franz Deutscher. Die beiden nickten sich zu. »Steiner.« »Deutscher.« »Sieht so aus, als hätte es sich ausgezahlt, dass ich dich die ganze Zeit Runden habe laufen lassen.« »Sieht so aus.« Das Lächeln sparte er sich auf für den Zeitpunkt, wenn er alle vier Rennen gewonnen haben würde. EINE TATSACHE, DIE SPÄTER BEDEUTSAM WERDEN WIRD Rudi war nun nicht nur als guter Schüler anerkannt, sondern auch als vielversprechender Athlet. Liesel startete über 400 Meter. Sie kam als Siebte ins Ziel, und über die 200 Meter wurde sie Vierte. Alles, was sie vor sich sehen konnte, waren die Kniesehnen und die hüpfenden Pferdeschwänze der Mädchen, die ihr vorausliefen. Beim Weitsprung genoss sie das Gefühl des Sandes, der sich um ihre Füße schloss, mehr, als dass sie sich um die Weite scherte, und auch das Kugelstoßen absolvierte sie nur mäßig. Dieser Tag, das war ihr klar, gehörte Rudi. Im 400-Meter-Finale ging er schon vor der Geraden in Führung und ließ sie sich nicht mehr nehmen. Die 200 Meter gewann er nur knapp. »Wirst du müde?«, fragte Liesel ihn. Es war mittlerweile früher Nachmittag. »Natürlich nicht.«Er atmete schwer und dehnte seine Oberschenkel.»Wovon redest du überhaupt, Saumensch? Was weißt du denn schon davon?« Als die 100-Meter-Läufe angekündigt wurden, erhob er sich langsam und folgte der Gruppe von Jugendlichen zum Start. Liesel kam ihm nach.»He, Rudi.«Sie zupfte ihn am Ärmel.»Viel Glück.« »Ich bin nicht müde«, sagte er. »Ich weiß.«
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