Sie alle betrachteten ihn schweigend. Dann stand Papa auf und ging zu ihm. Er setzte sich neben ihn.
»Haben Sie sich den Ellbogen verbrannt?« Eines Abends saßen Hans, Max und Liesel vor dem Kamin. Mama war in der Küche. Max las wieder in Mein Kampf. »Wissen Sie was?«, sagte Hans. Er beugte sich näher ans Feuer.»Liesel kann übrigens auch ganz gut lesen.«Max senkte das Buch.»Und sie hat noch mehr mit Ihnen gemein.«Papa schaute zur Tür, ob Rosa nicht zufällig gerade hereinkam.»Sie prügelt sich auch ab und zu ganz gerne.« »Papa!« Liesel, nur noch kurze Zeit elf Jahre alt und immer noch hager und schlaksig, wie sie da an die Wand gelehnt saß, war empört.»Ich habe mich noch nie geprügelt!« »Pst!«Papa lachte. Er bedeutete ihr, ihre Stimme zu dämpfen. Diesmal neigte er sich dem Mädchen zu.»Und was ist mit der Abreibung, die du Ludwig Schmeikl verpasst hast, hm?« »Ich habe niemals...«Sie war entlarvt. Weiteres Leugnen war zwecklos.»Woher weißt du das?« »Ich habe seinen Papa im >Knoller< getroffen.« Liesel hielt ihr Gesicht in den Händen. Dann schaute sie auf und stellte die Schlüsselfrage:»Hast du Mama davon erzählt?« »Machst du Witze?«Er zwinkerte Max zu und flüsterte dann dem Mädchen zu:»Du bist doch noch am Leben, oder?« In dieser Nacht spielte Papa zum ersten Mal seit Monaten wieder zu Hause Akkordeon. Es dauerte etwa eine halbe Stunde, bis er Max eine Frage stellte: »Haben Sie spielen gelernt?« Das Gesicht in der Ecke war den Flammen zugewandt.»Ja.«Eine Weile herrschte Schweigen.»Bis ich neun war. Dann verkaufte meine Mutter die Musikschule und hörte auf zu unterrichten. Sie behielt ein einziges Instrument, aber als ich mich weigerte zu lernen, gab sie es auf. Ich war ein Narr.« »Nein«, sagte Papa.»Sie waren ein Kind.« In den Nächten gingen Liesel Meminger und Max Vandenburg ihren sich gleichenden Gewohnheiten nach. In getrennten Räumen hatten sie ihre Albträume und wachten auf, sie mit einem Schrei in ertrinkenden Laken, er neben einem rauchenden Feuer, um Luft ringend. Manchmal, wenn Liesel bis drei Uhr morgens mit Papa las, erlebten sie Max' erwachende Momente.»Er träumt wie du«, sagte Papa dann, und ein Mal, als sie Max' angstvolle Nachtgeräusche hörte, entschloss sich Liesel aufzustehen. Anhand seiner Erzählungen hatte sie eine ziemlich gute Vorstellung davon, was er in seinen Träumen sah, wenn auch nicht den genauen Teil der Geschichte, der ihm jede Nacht einen Besuch abstattete.
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