Stumm fragte sie ihren Papa.
Denkst du auch an ihn? Ob die lautlose Frage nun bemerkt wurde oder nicht, jedenfalls schenkte er dem Mädchen ein rasches Nicken. Wenige Minuten später folgte ein Dreiklang aus Sirenengeheul, der flüchtige Sicherheit verkündete. Die Menschen in der Himmelstraße 45 sanken erleichtert in sich zusammen. Manche kniffen die Augen zusammen und öffneten sie wieder. Eine Zigarette wurde herumgereicht. Gerade als sie Rudis Lippen erreichte, wurde sie ihm von seinem Vater vor der Nase weggeschnappt.»Du nicht, Jesse Owens.« Die Kinder umarmten ihre Eltern, und es dauerte mehrere Minuten, bis allen klar war, dass sie noch lebten und dass sie auch weiterhin am Leben bleiben würden. Erst dann erklommen ihre Füße die Treppe nach oben, in Herbert Fiedlers Küche und hinaus. Eine schweigende Prozession marschierte wieder nach Hause. Die Menschen schauten nach oben und dankten Gott für ihr Leben. Als die Hubermanns heimkamen, gingen sie auf direktem Weg in den Keller, aber es sah so aus, als wäre Max nicht da. Der Lampenschein war klein und orange, und sie konnten ihn weder sehen noch eine Antwort vernehmen. »Max?« »Er ist verschwunden.« »Max, sind Sie da?«»Ich bin hier.« Sie dachten zuerst, dass die Stimme hinter den Lumpen und den Farbeimern hervorkam, aber Liesel sah ihn als Erste. Er war direkt neben ihnen. Sein abgespanntes Gesicht fiel zwischen den Malutensilien und dem Werkzeug kaum auf. Seine Augen und Lippen waren wie betäubt. Sie wendeten sich ihm zu, und er öffnete den Mund. »Ich konnte nicht anders«, sagte er. Rosa kauerte sich nieder und schaute ihm ins Gesicht.»Wovon sprechen Sie, Max?« »Ich...«Er kämpfte mit der Antwort.»Als alles still war, bin ich hinaufgegangen, und im Flur habe ich gesehen, dass der Vorhang im Wohnzimmer einen Spalt offen stand... Ich konnte nach draußen sehen. Ich habe nur ein paar Sekunden lang hingeschaut.« Er hatte die Welt da draußen seit zweiundzwanzig Monaten nicht mehr gesehen.
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