Er war Mitglied der nationalsozialistischen Partei, aber er hasste keine Juden oder sonst irgendjemanden.
2. Insgeheim konnte er sich allerdings nicht einer gewissen Erleichterung (oder schlimmer noch: Freude) erwehren, als die jüdischen Ladenbesitzer aus der Stadt gejagt wurden - die Propaganda hatte ihn davon überzeugt, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis jüdische Schneider das Land überschwemmten und ihm seine Kunden stahlen. 3. Aber musste man sie deshalb gleich ganz vertreiben? 4. Seine Familie. Natürlich war es seine Pflicht, alles zu tun, um sie zu beschützen und zu unterstützen. Wenn er dazu in der Partei sein musste, dann war es eben so. 5. Irgendwo, tief in ihm drin, gab es eine kleine Stelle in seinem Gewissen, die juckte, aber er vermied es zu kratzen. Er hatte Angst vor dem, was darunter zum Vorschein kommen würde. Sie gingen um ein paar Ecken in Richtung Himmelstraße, und Alex Steiner sagte:»Mein Sohn, du kannst nicht schwarz angemalt herumlaufen, hast du verstanden?« Rudi wurde hellhörig. Der Mond hatte sich befreit und konnte nun ungehindert weiterziehen, konnte sich erheben und niedergehen und das Gesicht des Jungen bescheinen, machte ihn mit seinem Licht hübsch und unergründlich, wie seine Gedanken.»Warum nicht, Papa?« »Weil sie dich dann holen kommen.« »Warum?« »Weil du keine Schwarzen oder Juden bewundern darfst, und auch niemand anderen, der nicht so ist wie wir.« »Wer ist denn Jude?« »Du kennst doch meinen ältesten Kunden, Herrn Kaufmann. Bei dem wir deine Schuhe gekauft haben.« »Ja.« »Nun, er ist Jude.« »Das wusste ich nicht. Muss man dafür bezahlen, wenn man Jude sein will? Braucht man eine Genehmigung?« »Nein, Rudi.«Herr Steiner steuerte das Fahrrad mit der einen Hand und Rudi mit der anderen. Mit der Richtung, die das Gespräch nahm, hatte er mehr Probleme als mit Rad und Sohn zusammen. Er hielt Rudi immer noch am Ohrläppchen fest. Er war mit den Gedanken woanders.»Das ist so, wie wenn man Deutscher ist. Oder Katholik.« »Oh. Ist Jesse Owens katholisch?« »Ich weiß nicht.«Er stolperte über ein Pedal und ließ das Ohr los. Eine Zeit lang gingen sie schweigend nebeneinanderher, bis Rudi sagte:»Ich wünschte, ich wäre wie Jesse Owens, Papa.« Diesmal legte Herr Steiner seine Hand auf Rudis Kopf und erklärte ihm:»Ich weiß, mein Sohn - aber du hast wunderschöne blonde Haare und große, beruhigend blaue Augen. Darüber solltest du froh sein, ist das klar?«
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