Er schaute darauf hinab.
Er schaute das Mädchen an, das schüchtern mit den Schultern zuckte. Dann las er den Titel laut vor, mit äußerster Konzentration:»Handbuch für Totengräber«. So heißt es also, dachte Liesel. Ein Flecken Stille lag zwischen ihnen dreien. Dem Mann, dem Mädchen und dem Buch. Er hob es auf und sagte, so weich wie Watte: EIN GESPRÄCH UM ZWEI UHR MORGENS »Ist das deins?«»Ja, Papa.«»Willst du es lesen?«Wieder:»Ja, Papa.«Ein müdes Lächeln. Metallische Augen, schmelzend.»Na, dann lesen wir es wohl besser.« Vier Jahre später, als sie im Keller anfing zu schreiben, wurden Liesel zwei Dinge über das Trauma jenes Bettnässens klar. Zum einen war sie überglücklich, dass es Papa war, der das Buch gefunden hatte. (Glücklicherweise hatte Rosa immer Liesel das Bett abziehen lassen, wenn die Bettwäsche gewaschen werden musste.»Und zwar schnell, Saumensch! Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit!«) Zweitens war sie uneingeschränkt stolz auf die Ausbildung, die sie durch Hans Hubermann erfuhr. Man kann es kaum glauben, schrieb sie, aber in der Schule habt ich das Lesen nicht gelernt. Papa hat es mir beigebracht. Die Leute denken, dass er nicht besonders klug ist, und es stimmt, dass er nicht besonders schnell lesen kann, aber ich sollte bald erfahren, dass Worte und das Schreiben ihm einmal das Leben gerettet haben. Oder besser gesagt: Worte - und ein Mann, der ihm das Akkordeonspielen beibrachte... »Eins nach dem anderen«, sagte Hans Hubermann in jener Nacht. Er wusch das Laken und den Bettbezug und hängte beides zum Trocknen auf.»Also«, sagte er, als er wiederkam,»dann lass uns mit der Mitternachtsklasse beginnen.« Das gelbe Licht war mit staubigem Leben erfüllt. Liesel saß auf ihrem kalten, sauberen Laken, beschämt und freudig erregt. Der Gedanke, dass sie ins Bett gemacht hatte, nagte an ihr, aber sie würde lesen lernen. Sie würde das Buch lesen.
|