Sie schaute auf und sah den Himmel niederkauern.
Ein Horizont aus Reichsflaggen und Uniformen hob sich himmelwärts und zerstückelte ihr Blickfeld, egal wie oft sie auch versuchte, über den Kopf eines kleineren Kindes vor ihr hinwegzusehen. Es half nichts. Die Menge war wie eine Wand. Man konnte sie nicht ins Wanken bringen. Man konnte sich nicht hindurchzwängen. Sie ließ sich durch nichts erweichen. Man konnte nur im Gleichklang mit ihr atmen und ihre Lieder singen. Und auf ihr Feuer warten Ein Mann auf einem Podium verlangte nach Ruhe. Seine Uniform war glänzend braun. Man hatte fast das Gefühl, dass das Bügeleisen immer noch darüber hinwegglitt. Stille kehrte ein. Seine ersten Worte:»Heil Hitler!« Seine erste Geste: der Hitlergruß. »Heute ist ein wundervoller Tag«, fuhr er fort.»Es ist nicht nur der Geburtstag unseres Führers, nein, wir schlagen auch einmal mehr unsere Feinde zurück. Wir hindern sie daran, sich in unsere Gedanken einzuschleichen...« Liesel versuchte immer noch, sich durch die Menge zu kämpfen. »Wir machen dem Geschwür ein Ende, das sich in den letzten zwanzig Jahren - wenn nicht noch länger - in Deutschland ausgebreitet hatte.«Seine Rede steigerte sich nun zu einem regelrechten Geschrei - eine gewaltige Zurschaustellung aufgestauter Leidenschaft. Er forderte die Menschen auf, wachsam zu sein, unermüdlich auf der Hut, um die bösartigen Ränken auszuspähen und zu zerstören, die das Vaterland mit ihrer Fäulnis zu überziehen drohten.»Die Unmoralischen! Die Kommunisten!«Wieder dieses Wort. Das alte, vertraute Wort. Dunkle Räume. Männer in Anzügen.»Die Juden!« Nach der Hälfte der Ansprache gab Liesel auf. Nachdem das Wort»Kommunisten«sie erreicht hatte, fegte der Rest der braunen Hetze an ihr vorbei, rechts und links, und verlor sich irgendwo zu den deutschen Füßen neben ihr. Ein Strom aus Worten. Ein Mädchen, das Wasser trat. Sie dachte es wieder. Kommunisten. Bisher hatte man im JM stets gepredigt, dass die Deutschen die überlegene Rasse waren, aber niemand war als Vergleich herangezogen worden. Natürlich wusste jeder über die Juden Bescheid, weil sie ja die Haupttäter waren, die das deutsche Ideal verunreinigten. Aber bis heute waren nicht ein einziges Mal die Kommunisten erwähnt worden, obwohl natürlich Leute mit derlei politischen Ansichten ihrer gerechten Strafe ebenso wenig entgehen würden.
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