Das Buch hatte 396 Seiten.
Jeden Tag eilte Liesel von der Schule nach Hause, in der Hoffnung, dass es Max besser gehe.»Ist er aufgewacht? Hat er etwas gegessen?« »Geh wieder raus«, bat Mama.»Du fragst mir ja noch ein Loch in den Bauch. Mach schon. Geh raus, und spiel Fußball, um Himmels willen.« »Ja, Mama.«Sie war schon an der Tür.»Aber du sagst mir gleich Bescheid, wenn er aufwacht, nicht wahr? Erfinde irgendwas. Schrei herum, als ob ich etwas angestellt hätte. Schimpf mit mir. Jeder wird es glauben, keine Sorge.« Selbst Rosa musste bei diesen Worten lächeln. Sie legte ihre Fingerknöchel gegen die Hüften und erklärte, dass Liesel noch nicht zu alt für eine ordentliche Abreibung wäre, wenn sie nicht aufpasse, was sie sagte.»Und schieß gefälligst ein Tor«, verlangte sie,»oder du musst gar nicht erst heimkommen.« »Klar, Mama.« »Besser noch zwei Tore, Saumensch.«»Ja, Mama.« »Und versuch nicht ständig, das letzte Wort zu haben!« Liesel wollte schon den Mund aufmachen, überlegte es sich aber anders und rannte hinaus, um Rudi auf der schlammigen Straße zu beweisen, wer von ihnen besser Fußball spielte. »Wurde auch Zeit, Arschkratzer.«Er hieß sie auf die übliche Art willkommen, während er gleichzeitig um den Ballbesitz kämpfte.»Wo warst du so lange?« Eine halbe Stunde später wurde der Ball von einem der wenigen Wagen platt gewalzt, die ihren Weg in die Himmelstraße fanden. Liesel hatte gerade ihr erstes Geschenk für Max Vandenburg gefunden. Nachdem sich alle davon überzeugt hatten, dass der Ball ein für alle Mal das Zeitliche gesegnet hatte, gingen sie empört davon und ließen ihn zuckend auf der kalten, mit Blasen übersäten Straße liegen. Liesel und Rudi blieben zurück und beugten sich über den Kadaver. An der Seite gähnte ein Loch, wie ein Mund. »Willst du ihn haben?«, fragte Liesel. Rudi zuckte mit den Schultern.»Was soll ich mit diesem platten Scheißhaufen von einem Ball anfangen? Den kann man im Leben nicht mehr aufpumpen.« »Willst du ihn oder nicht?« »Nein danke.«Rudi stupste ihn vorsichtig mit dem Fuß an, als wäre er ein totes Tier. Oder ein Tier, das nur vielleicht tot war. Bevor sie sich auf den Heimweg machte, hob Liesel den Ball auf und steckte ihn sich unter den Arm. Sie hörte ihn rufen.»He, Saumensch!«Sie wartete.»Saumensch!« Sie gab nach.»Was ist?« »Ich hab auch noch ein Fahrrad ohne Räder, wenn du das haben willst.« »Steck dir dein Fahrrad sonst wo hin.« Von dort, wo sie stand, war das Letzte, was sie hörte, das Lachen von Rudi Steiner, diesem Saukerl. Sie ging ins Haus und geradewegs in ihr Zimmer. Sie nahm den Ball und legte ihn an das Fußende des Bettes. »Tut mir leid«, sagte sie.»Er ist nichts Besonderes. Aber wenn du aufwachst, werde ich dir alles darüber erzählen. Ich werde dir erzählen, dass es der graueste Nachmittag war, den du dir vorstellen kannst, und dieses Auto ist ohne Licht direkt über den Ball gefahren. Dann ist der Fahrer ausgestiegen und hat uns angebrüllt. Und stell dir vor: Dann hatte er uns nach dem Weg gefragt. Der hatte vielleicht Nerven...« Wach auf!, wollte sie schreien. Oder ihn schütteln.
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