Frau Holzinger lag mit abgespreizten Gliedern auf dem Boden.
DIE NÄCHSTEN ZWÖLF STUNDEN IN LIESEL MEMINGERS LEBEN Sie dreht sich auf dem Absatz herum und schaut den zersplitterten Kanal entlang, der einst die Himmelstraße gewesen war. Sie sieht zwei Männer einen Körper tragen, und sie folgt ihnen. Als sie die anderen sah, musste sie husten. Sie lauschte einen Moment, während einer der Männer den anderen erzählte, dass sie eine der Leichen in Stücke zerfetzt gefunden hatten, in einem Ahornbaum. Erschlagene Schlafanzüge und zerrissene Gesichter. Es war das Haar des Jungen, das sie zuerst sah. Rudi? »Rudi?« Er lag da, mit gelben Haaren und geschlossenen Lippen. Die Bücherdiebin rannte zu ihm und fiel hin. Sie ließ das schwarze Buch los.»Rudi«, schluchzte sie,»wach auf...«Sie packte ihn am Schlafanzug und schüttelte ihn leicht, ungläubig.»Wach auf, Rudi«, und jetzt, während der Himmel die Erde weiter aufheizte und mit Asche bestäubte, hielt Liesel Rudi Steiners Schlafanzugjacke mit beiden Händen.»Rudi, bitte.«Die Tränen hakten sich an ihrem Gesicht fest.»Rudi, bitte, wach auf. Verdammt nochmal, wach auf. Ich liebe dich doch. Komm schon, Rudi, komm schon, Jesse Owens, weißt du denn nicht, dass ich dich liebe, wach auf, wach auf, wach auf...« Aber die Welt kümmerte es nicht. Der Schutt häufte sich noch höher auf. Zementhügel mit roten Gipfeln. Ein wunderschönes, tränenzerrüttetes Mädchen, das die Toten schüttelt. »Komm schon, Jesse Owens...«
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