walter wannenmacher REINHARD HEYDRICH
Politik steht zwischen Kunst und Strategie. Die Planung von Weg und Ziel und die Wahl der weg- und zielentsprechenden Mittel zur Durchsetzung des planenden Willens hat die Politik mit der Strategie gemeinsam. Elemente der strategischen Planung und der strategischen Mittel sind wesentlich abstrakter Natur; der Stratege denkt in Zahlen, die Truppeneinheiten, Höhenunterschiede, Transportkapazitäten, Feuerkraft, Nachschubbedarf und anderes mehr bedeuten. Er hat es — mit einer einzigen Ausnahme, dem Geist der Truppe — mit exakten Begriffen zu tun, und selbst die unberechenbaren Einflüsse von gegnerischer Einwirkung und Wetter sind als Maximal- und Minimalfaktoren faßbar. Da sich die Politik jedoch als Beeinflussung der Beziehungen von willensmäßig ausgerichteten Menschengruppen — seien es Völker, Parteien oder sonstige Gebilde — darstellt, fehlen ihrer Planung und.ihren Mitteln die exakten Elemente. Die Politik wirkt im Bereiche der menschlichen Willensbildung, also dort, wo Gefühle meist schwerer wiegen als logische Erwägungen. Deshalb ist auch der Instinkt der entscheidende Berater in der politischen Planung und der Wahl ihrer Mittel, denn-der abstrahierende Verstand allein ist oft hilflos gegenüber den ver- standesmäßig nicht faßbaren Geheimnissen der Willensbildung einer Menschengruppe, hilfloser noch als der Psychologe beim Erforschen der Geheimnisse des Massenwillens und des Einzelwillens. Insofern es bei ihr auf den schöpferischen Instinkt ankommt, ist die Politik der Kunst verwandt. Der Künstler schöpft mit instinktiver Sicherheit Schönes, der Politiker Suggestives. Der erstere wendet sich an den Menschen als Eindrucksempfänger, der letztere an den Menschen als Willensträger. Zwischen Kunst und Strategie stehend, bedarf die Politik des kühlen Verstandes ebenso wie des lebenswarmen Instinktes. So ist es kein Zufall, daß große Politiker immer etwas Musisches und etwas Militärisches zugleich an sich haben. Diese Erkenntnis ist notwendig, um das politische Werk zu begreifen, das ein Mann militärischer und musischer Prägung in Prag beginnen, aber nicht vollenden konnte: Reinhard Heydrich. Er erkannte sofort sein Ziel: den Willen der Bewohner des böhmisch-mährischen Raumes positiv auszurichten auf die Reichsidee. Sein schöpferischer Instinkt erfaßte zugleich auch Weg und Mittel. Da jede politische Willensbildung irgendwie überlieferungsgebunden ist, vertiefte er sich in die Geschichte des Raumes und fand in der Mission des Böhmenkönigs Wenzel den historischen Anknüpfungspunkt für den neuen Reichsgedanken, zugleich aber auch in der haßverzerrten Geschichtsauffassung Pa-lackys jene feindliche Zelle, die in den zwanzig Jahren nach dem ersten Weltkrieg unter Benesch ebenso verführerische wie gefährlich giftige Blüten getrieben hatte. Über die vernebelnde Wirkung der Rauschgifte, die in der von Palacky beeinflußten jüngsten Vergangenheit gediehen waren, konnte kein Zweifel bestehen. Sie zeigte sich auf vielfältige Art: in scheinbar apathischer, teilnahmsloser Haltung maßgebender Persönlichkeiten ebenso wie in blindwütigen Sabotageakten verhetzter oder bezahlter Werkzeuge, in offenen und versteckten Widerständen, in Unterlassungen, die oft ebenso schwer wogen wie feindliche Handlungen. Heydrich erkannte, daß es sich bei diesen Gruppen zwar um eine Minderheit des tschechischen Volkes handelte, aber um eine gefährliche Minderheit, denn die Neigung zu romantischgrößenwahnsinnigen Illusionen war ja seit 1918 in diesem Räume weit verbreitet, und die Anfälligkeit für Infektionen dieser Art mußte hoch veranschlagt werden. Gerade aber für eine Verbreiterung dieses Infektionsherdes wurde Benesch von den Engländern bezahlt, denn je mehr Leute angesteckt wurden, um so leichter mußten sich Saboteure für die Zwecke der britischen Heckenschützenstrategie finden lassen. Nur ein rascher operativer Zugriff konnte die Ausbreitung der Infektion verhindern. Mit ruhiger Sicherheit schritt Heydrich an diese Operation. Die Tschechen ahnten damals noch nicht, was ein Zaudern für sie bedeutet hätte. Human handelt derjenige, der nach gewissenhafter Erforschung aller Möglichkeiten das Notwendige mit geringsten Opfern vollbringt. Jede Verzögerung des Eingreifens hätte mit der Vergrößerung des Infektionsherdes auch die Erfolgsaussichten der Operation verkleinert, ja ein langes Zaudern hätte nur mit einer vollständigen Katastrophe des tschechischen Volkes enden können. Es war human, diese Katastrophe zeitgerecht abzuwenden — und weil dies früher oder später auch von den Tschechen erkannt worden wäre, trachtete man, den erfolgreichen Operateur zu beseitigen. Die Maßnahmen Heydrichs gegen Saboteure und Schieber waren dazu bestimmt, das tschechische Volk zu schützen; erstens vor der Ausbeutung als englisches Werkzeug, dadurch, daß mit harter Hand die Gefährlichkeit eines Kokettierens mit den Benesch- Illusionen vor Augen geführt und erwiesen wurde, daß dieses Kokettieren nur zu einem bösen Ende führen könne; zweitens vor materieller Ausbeutung durch Leute, die ihrer privaten Bereicherungsgier oft auch noch die Gloriole eines Störers der ordentlichen Versorgung aufsetzten. Dem operativen Eingriff mußte eine Heilungsperiode folgen. Heydrich erkannte, daß es gegen die Verführung romantischer Rauschgifte nur ein Mittel gab: den gesunden Menschenverstand. So setzte er, anknüpfend an die Wenzelstradition mit ihrer Erinnerung an die damalige Blüte des Wohlstandes in den böhmischmährischen Ländern, die Überzeugungskraft des gesunden Menschenverstandes als politisches Mittel ein. Konnten die Tschechen ruhig einer gesunden Vernunft gehorchen, mußten sie einsehen, daß sie allen Grund hatten, mit ihrem Schicksal zufrieden zu sein, mit einem Schicksal, das sie vor Krieg, Hunger und Zerstörung bewahrt hatte, das keine Blutopfer von ihnen verlangte, sondern nur Arbeit, und zwar gut bezahlte Arbeit. Nicht Liebe zum Reich, sondern nur etwas Vernunft und Dankbarkeit, ausgedrückt in aktiver Mithilfe an den gesamteuropäischen Aufgaben im eigenen Interesse wurden verlangt. So ging Heydrich an sein Aufbauwerk heran in enger Verbundenheit mit der Realität des Lebens. Er empfing Arbeiter und Bauern, er verbesserte die Versorgung und er sah darauf, daß der arbeitende Mensch entsprechend entlohnt, ernährt, bekleidet werden könne, soweit es nur überhaupt die durch den Krieg gezogenen Möglichkeiten durchführbar erscheinen ließen; Erholungsfreiplätze für kinderreiche Arbeiter wurden geschaffen, Arbeitsschuhe kostenlos verteilt. Nach Neubildung der Protektoratsregierung wurde die Verwaltungsreform in Angriff genommen, die Konzeption einer tschechischen Jugenddienstpflicht entstand, aus der Erwägung heraus, daß Jugend nicht in Langeweile und Führungslosigkeit heran wachsen dürfe, wenn aus ihr brauchbare und anständige Menschen hervorgehen sollen. Immer war der Politiker Reinhard Heydrich sich bewußt, daß die Willensbildung einer Menschengruppe, wenn sie durch Gefühlswirkungen narkotisch gestört ist, nur durch die Überzeugungskraft der gesunden Vernunft ins Gleichgewicht gebracht werden kann, einer Vernunft, die nichts zu tun hat mit dem haarspalterischen Intellekt einer unfruchtbaren Schicht mißvergnügter „Gebildeter". Er wußte aber auch das Sicherheitsgefühl eines klaren Kurses in der Politik einzuschätzen, als die eigentliche Wurzel jeder Autorität. So konnten die Passagiere, ob gutwillig oder böswillig, den Steuermann immer nur mit derselben gelassenen Miene auf dem einmal als richtig angepeilten Kurs sehen, ohne jedes taktische Manöver, in dem kleine Geister irrtümlich oft das Wesentliche der Politik sehen. Sie alle begannen bald zu fühlen, daß der Mann am Steuer genau wußte, wohin er wollte, und daß er seinen Willen auch durchsetzen werde. Die Vorsehung wollte es anders. Die Mörder, die das Leben einer der stärksten politischen Gestalten des Großdeutschen Reiches in der Blüte seiner Jahre auslöschten, konnten jedoch nicht den Namen auslöschen, der Weg und Ziel in diesem Raum bedeutet. Das Werk Reinhard Heydrichs wird weiterleben, getragen von allen denjenigen, die heute erschüttert im Banne der Tragik seines Todes stehen.
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