DER KNACKPUNKT
Stellte sie sich vor... »Mach schon, Liesel!«Rudi brach das Schweigen. Die Bücherdiebin sah wieder auf die Worte herab. Mach schon. Diesmal sprach Rudi lautlos, bewegte nur die Lippen. Mach schon, Liesel. Ihr Blut wurde lauter. Die Sätze verschwammen. Die weiße Seite war plötzlich in einer fremden Sprache bedruckt, und es half auch nichts, dass sich jetzt Tränen in ihren Augen bildeten. Sie konnte die Worte nicht einmal mehr sehen. Und die Sonne. Diese schreckliche Sonne. Sie brach durch das Fenster - das Glas war überall - und beschien geradewegs die Niederlage des Mädchens. Sie schrie ihr ins Gesicht:»Du kannst zwar ein Buch stehlen, aber lesen kannst du es nicht!« Da dämmerte es ihr. Die Lösung. Sie atmete und atmete und fing an zu lesen, aber nicht aus dem Buch, das sie in der Hand hielt. Es war eine Stelle aus dem Handbuch für Totengräber, Kapitel 3:»Wenn Schnee liegt«. Sie sprach der Stimme von Hans Hubermann in ihrem Innern nach. »Wenn Schnee liegt«, sagte sie,»ist der Gebrauch einer guten Schaufel unerlässlich. Man muss tief graben, auch wenn die Bedingungen widrig sind. Schlamperei würde sich rächen.«Wieder saugte sie einen großen Klumpen Luft ein.»In den wärmeren Stunden des Tages ist es selbstverständlich einfacher...«
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