Zu Boden schauend.
Mehrmals suchte sie nach dem richtigen Anfang, las die Sätze zu ihren Füßen auf, befestigte Worte an Tannenzapfen und abgebrochenen Zweigen. »Weißt du noch, als ich mich beim Fußballspielen verletzt habe?«, fragte sie.»Auf der Straße?« Es dauerte etwa eine Dreiviertelstunde, bis sie die Geschichte von zwei Kriegen, einem Akkordeon, einem jüdischen Faustkämpfer und einem Keller erzählt hatte. Nicht zu vergessen, was vor vier Tagen auf der Münchener Straße geschehen war. »Das ist der Grund, warum du damals so nahe herangegangen bist«, sagte Rudi,»als wir das Brot dabeihatten. Du wolltest nachschauen, ob er dabei ist.« »Ja.« »Herr im Himmel.« »Ja.« Die Bäume waren hoch und dreieckig. Sie waren still. Liesel zog Die Worteschüttlerin aus ihrer Tasche und zeigte Rudi eine der Seiten. Auf ihr wai ein Junge mit drei Medaillen um den Hals zu sehen. »Haare wie Zitronen«, las Rudi. Seine Finger berührten die Worte.»Du hast ihm von mir erzählt?« Zunächst konnte Liesel nicht sprechen. Vielleicht war es die unvermittelte Holprigkeit der Liebe, die sie für ihn empfand. Oder hatte sie ihn schon immer geliebt? Höchstwahrscheinlich. So unmöglich ihr in diesem Moment die Worte waren, so sehr wünschte sie sich, dass er sie küssen möge. Sie wünschte, er würde ihre Hand nehmen und sie zu sich ziehen. Sie küssen. Egal wohin. Auf den Mund, ihren Nacken, ihre Wange. Ihre Haut war leer, unbesetzt, erwartungsvoll. Vor Jahren, als sie sich auf dem schlammigen Sportplatz ein Wettrennen geliefert hatten, war Rudi ein hastig zusammengewürfelter Haufen Knochen gewesen, mit einem zerklüfteten, kantigen Lächeln. An diesem Nachmittag zwischen den Bäumen war er ein Schenkender, der Brot und Teddybären verteilte. Er war ein dreifacher Sieger. Er war ihr bester Freund. Und er war noch einen Monat von seinem Tod entfernt. »Natürlich habe ich ihm von dir erzählt«, sagte Liesel.
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