BEKENNTNISSE
Nachdem die Juden gegangen waren, lösten sich Rudi und Liesel voneinander. Die Bücherdiebin sagte nichts. Auf Rudis Fragen gab es keine Antworten. Liesel kehrte auch nicht heim. Verloren ging sie zum Bahnhof und wartete stundenlang auf ihren Papa. Rudi stand während der ersten zwanzig Minuten bei ihr, aber da es noch über einen halben Tag dauerte, bis Hans nach Hause kam, ging er und holte Rosa. Auf dem Weg dorthin erzählte er ihr, was geschehen war, und als Rosa eintraf, stellte sie dem Mädchen keine Fragen. Sie hatte die Puzzleteilchen bereits zusammengesetzt und kam nur an ihre Seite und überredete sie schließlich, sich hinzusetzen. Sie warteten gemeinsam. Als Papa alles erfuhr, ließ er seine Tasche fallen und versetzte der Bahnhofsluft ein paar Fußtritte. Keiner von ihnen dachte an diesem Abend an Essen. Papas Finger entweihten das Akkordeon, ermordeten ein Lied nach dem anderen, egal wie viel Mühe er sich auch gab. Nichts mehr schien zu funktionieren. Drei Tage lang blieb die Bücherdiebin im Bett. Jeden Morgen und jeden Nachmittag klopfte Rudi an die Haustür und fragte, ob sie immer noch krank war. Das Mädchen war nicht krank. Am vierten Tag ging Liesel zu ihrem Nachbarn und fragte, ob er mit ihr noch einmal zu den Weihnachtsbäumen gehen würde, wo sie im vorigen Jahr das Brot ausgelegt hatten. »Ich hätte dir schon früher davon erzählen sollen«, sagte sie. Wie verabredet gingen sie die Straße nach Dachau entlang. Sie standen zwischen den Bäumen. Bei ihnen standen lange Konturen aus Licht und Schatten. Tannenzapfen lagen überall wie Kekskrümel verstreut.
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