Ihre Mutter. Ihr Bruder. Max Vandenburg. Hans Hubermann. Alle waren sie weg. Und ihren leiblichen Vater hatte sie nicht einmal gekannt.
»Das heißt«, sagte sie,»dass ich heimgehe.« Fünfzehn Minuten lang ging sie alleine, und auch als Rudi sich keuchend und schwitzend zu ihr gesellte, sprach mehr als eine Stunde lang keiner von ihnen ein Wort. Sie gingen einfach mit wehen Füßen und müden Herzen nebeneinanderher. In Ein Lied im Dunkeln gab es ein Kapitel mit dem Titel»Müde Herzen«. Ein junges Mädchen hatte sich einem Mann versprochen, aber es stellte sich heraus, dass er mit ihrer besten Freundin durchgebrannt war. Liesel glaubte sich zu erinnern, dass es Kapitel 13 war.»Mein Herz ist so müde«, hatte das Mädchen gesagt. Sie saß in einer Kapelle und schrieb in ihr Tagebuch. Nein, dachte Liesel, während sie nach Hause ging. Mein Herz ist müde. Ein dreizehnjähriges Herz sollte sich nicht so anfühlen. Als sie die Außenbezirke von Molching erreichten, warf Liesel ein paar Worte zur Seite. Sie schaute zum Sportplatz.»Weißt du noch, wie wir hier Rennen gelaufen sind, Rudi?« »Na klar. Ich habe auch gerade daran denken müssen - wie wir beide hingefallen sind.« »Du hast gesagt, du wärst in Scheiße gefallen.« »Es war bloß Dreck.«Er konnte seiner Belustigung nicht mehr Einhalt gebieten.»Bei der Hitlerjugend bin ich in Scheiße gefallen - in Kuhdung. Du bringst alles durcheinander, Saumensch.« »Ich bringe nichts durcheinander. Ich sage nur, was du behauptet hast. Was jemand sagt und was passiert ist, ist gewöhnlich zweierlei, Rudi, besonders bei dir.«
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